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Der Historiker

Der Historiker

Titel: Der Historiker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Kostova
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Jahrhunderte. Es waren Flugschriften aus dem mittelalterlichen Deutschland, aus Russland, Ungarn und Konstantinopel, die sämtlich seine Verbrechen dokumentierten. Viele von ihnen habe ich während meiner Forschungsarbeit nie gesehen, noch habe ich je von ihnen gehört, und mich packte eine unbändige Neugier, bis ich mich daran erinnerte, dass ich keinen Grund mehr habe, meine Forschungsarbeit zu vollenden. Ich sah auch etliche volkskundliche Bücher, vom siebzehnten Jahrhundert an, einschließlich der Vampirlegenden. Seltsam und schrecklich, dass er diese Bücher so einfach zwischen seine Biografien stellt. Er legte seine große Hand auf eine frühe Ausgabe von Bram Stokers Roman und lächelte, sagte aber nichts. Dann ging er ruhig weiter.
    »Das hier ist ebenfalls von besonderem Interesse für Sie«, sagte er. »Es sind Werke über die Geschichte Ihres Jahrhunderts, des zwanzigsten. Ein feines Jahrhundert, ich freue mich schon auf den Rest davon. Zu meiner Zeit konnte ein Fürst lästige Elemente nur Mann für Mann eliminieren. Sie machen das heute mit einer unendlich größeren Effizienz – auf einen Streich. Denken Sie nur an die Verbesserung der verwünschten Kanone, mit der die Mauern Konstantinopels durchbrochen wurden, zu dem wunderbaren Feuer, mit dem Ihre Wahlheimat vor Jahren japanische Städte zerstörte.« Er deutete so etwas wie eine Verbeugung in meine Richtung an, höflich, beglückwünschend. »Viele dieser Werke werden Sie bereits gelesen haben, Professor, aber vielleicht sehen Sie aus einem neuen Blickwinkel in sie hinein.«
    Schließlich bat er mich, wieder am Feuer Platz zu nehmen; auf dem Tisch stand frischer, dampfender Tee. Als wir saßen, wandte er sich erneut mir zu. »Bald brauche ich meine eigene Art Erfrischung«, sagte er ruhig. »Aber erst will ich Ihnen eine Frage stellen.« Meine Hände begannen unwillkürlich zu zittern. Bisher hatte ich versucht, so wenig wie möglich zu sagen, ohne seinen Zorn zu erregen. »Sie haben meine Gastfreundschaft genossen, soweit ich sie Ihnen hier bieten kann, und können sich meines grenzenlosen Vertrauens in Ihre Fähigkeiten sicher sein. Sie werden ein ewiges Leben genießen, wie es nur wenigen Wesen gegeben ist. Sie haben freien Zugang zu dem sicher erlesensten Archiv seiner Art. Seltene Werke stehen Ihnen zur Verfügung, die sonst nirgends erhältlich sind. Alles das gehört Ihnen.« Er bewegte sich in seinem Lehnstuhl, als fiele es ihm schwer, seinen großen untoten Körper lange ruhig zu halten. »Zudem sind Sie ein Mann von beispiellosem Verstand und ebensolcher Vorstellungskraft, von scharfsinniger Genauigkeit und fundierter Urteilskraft. Ich kann noch viel von Ihren Untersuchungsmethoden lernen – Ihre Auswertung und Zusammenführung von Quellen, Ihre Vorstellungskraft. Wegen all dieser Fähigkeiten und der großen Gelehrsamkeit, die sie ausmachen, habe ich Sie hierher gebracht, in meine Schatzkammer. «
    Wieder unterbrach er sich. Gebannt betrachtete ich sein Gesicht. Er sah ins Feuer. »Auf Grund Ihrer Unbeirrbarkeit erkennen Sie, was die Geschichte lehrt«, sagte er. »Die Geschichte hat uns gelehrt, dass die Natur des Menschen böse ist, wenn auch auf sublime Weise. Das Gute ist nicht perfektionierbar, aber das Böse. Warum sollten Sie Ihren herausragenden Verstand nicht in den Dienst dessen stellen, was perfektionierbar ist? Ich fordere Sie auf mein Freund, Ihre Kräfte freiwillig mit meinen zu vereinen. Wenn Sie das tun, ersparen Sie sich selbst große Qualen und mir beträchtlichen Ärger. Zusammen werden wir die Arbeit des Historikers weiter entwickeln, über alles bisher Gekannte hinaus. Es gibt nichts Reineres als die Leiden in der Geschichte. Sie werden besitzen, wonach jeder Historiker strebt: Die Geschichte wird für Sie Wirklichkeit. Wir werden unseren Geist mit Blut reinigen.«
    Damit wandte er sich mir zu, die Augen mit dem alten Wissen blitzten auf und die roten Lippen öffneten sich leicht. Es wäre ein Gesicht von höchster Intelligenz, dachte ich plötzlich, wäre nicht so viel Hass in ihm. Ich kämpfte gegen den Schwindel in mir an, dagegen, augenblicklich vor ihm auf die Knie zu sinken und mich ihm zu unterwerfen. Er war ein Führer, ein Fürst. Er duldete keine Abweichler. Aber ich durfte nicht wanken. Ich bot alle Liebe in mir auf, alle Wärme für das, was ich je in meinem Leben besessen habe, und formte dieses eine Wort, so bestimmt ich konnte: »Niemals.«
    Sein Gesicht leuchtete blass auf, seine Nasenlöcher und

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