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Der Historiker

Der Historiker

Titel: Der Historiker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Kostova
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scharf Luft. ›Es tut mir Leid‹, sagte ich.
    Er übersetzte schnell für Selim, der den Kopf senkte und mit weicher Stimme etwas sagte. Turgut nickte. ›Er sagt, was ich ebenso tief empfinde. Diese schrecklichen Nachrichten können für uns nur bedeuten, dass wir den Pfähler noch eindringlicher verfolgen und seinen Einfluss von der Stadt fern halten müssen. Seine Herrlichkeit die Zuflucht der Welt würde uns genau das befehlen, lebte er noch. So ist es. Und was werden Sie mit diesem Buch machen, wenn Sie nach Hause kommen?‹
    ›Ich kenne jemanden, der eine Verbindung zu einem Auktionshaus hat‹, sagte ich. ›Wir werden natürlich sehr vorsichtig sein und noch abwarten, bevor wir etwas unternehmen. Ich denke, dass es früher oder später in ein Museum kommen wird.‹
    ›Und das Geld?‹ Turgut schüttelte den Kopf. ›Was werden Sie mit dem vielen Geld machen?‹
    ›Wir denken darüber nach‹, sagte ich. ›Etwas, das dem Guten dient. Wir wissen es noch nicht.‹
    Unser Flug nach New York ging um fünf Uhr, und nachdem wir unser letztes üppiges Mittagessen auf dem Bora’schen Diwan genossen hatten, sah Turgut auf die Uhr. Er müsse in die Universität, er habe ein Seminar abzuhalten, leider, schade, aber Mr Aksoy werde uns im Taxi zum Flughafen begleiten. Als wir gerade aufstehen wollten, um uns zu verabschieden, brachte Mrs Bora ein Tuch aus feinster cremefarbener, mit Silber bestickter Seide zum Vorschein und legte es Helen um den Hals. Es verbarg die Schäbigkeit ihrer schwarzen Kostümjacke und den schmutzigen Kragen ihrer Bluse, und wir alle schnappten nach Luft; wenigstens ich tat es und war bestimmt nicht der Einzige. Ihr Gesicht über dem Tuch war das Antlitz einer Kaiserin. ›Für Ihren Hochzeitstag‹, sagte Mrs Bora, stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste sie.
    Turgut küsste Helen die Hand. ›Es ist von meiner Mutter‹, sagte er einfach. Helen brachte kein Wort heraus. Ich sprach für uns beide und schüttelte ihre Hände. Wir würden schreiben. Wir würden an sie denken. Das Leben war so lang, dass wir uns sicher wiedersähen.

 
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    Vielleicht ist der letzte Teil meiner Geschichte am schwersten zu erzählen, denn er beginnt trotz allem mit so viel Glück. Wir kehrten ruhig an die Universität zurück und nahmen unsere Arbeit wieder auf. Ich wurde noch einmal von der Polizei befragt, aber man schien damit zufrieden, dass meine Reise ins Ausland mit meiner Arbeit und nicht mit Rossis Verschwinden zu tun gehabt hätte, wie ich erklärte. Mittlerweile hatten die Zeitungen Rossis Verschwinden aufgegriffen und eine Art örtliche Krimigeschichte daraus gemacht, was die Universität zu ignorieren versuchte. Unser Dekan befragte mich natürlich auch noch einmal, und ebenso natürlich verriet ich ihm nichts, nur dass ich wie alle anderen um Rossi trauerte. Helen und ich heirateten im Herbst bei meinen Eltern in Boston, und selbst noch während der Trauung musste ich immer wieder denken, wie karg und schmucklos die Kirche doch war; und ohne allen Weihrauch. Meine Eltern waren natürlich etwas erstaunt, aber sie konnten am Ende nicht anders, als Helen zu mögen, die ihnen gegenüber nichts von ihrer angeborenen Strenge zeigte, und wenn wir in Boston zu Besuch waren, hörte ich sie oft mit meiner Mutter in der Küche lachen, wo sie ihr ungarische Rezepte beibrachte, oder sie diskutierte mit meinem Vater in dessen voll gestopftem Arbeitszimmer über Anthropologie. Obwohl ich selbst immer wieder Trauer über Rossis Tod und die Melancholie empfand, die er bei Helen hervorrief, war dieses erste Jahr für mich voll überbordender Freude. Ich beendete meine Dissertation mit einem neuen Doktorvater, obwohl dessen Gesicht die ganze Zeit konturlos für mich blieb. Es war nicht so, dass mich die niederländischen Kaufleute noch wirklich interessiert hätten, aber ich wollte meine Ausbildung zu Ende bringen, damit ich ein Auskommen für uns fand. Helen veröffentlichte einen langen Aufsatz über dörflichen Aberglauben in der Walachei, der gut aufgenommen wurde, und begann mit einer Dissertation zu den Überresten transsilvanischer Bräuche in Ungarn.
    Und gleich nach unserer Rückkehr in die Vereinigten Staaten hatten wir natürlich auch noch etwas anderes geschrieben: einen Brief an Helens Mutter, an die Adresse von Tante Éva. Helen traute sich nicht, ins Detail zu gehen, aber sie erklärte ihrer Mutter mit ein paar knappen Zeilen, dass Rossi in Gedanken an sie gestorben sei und sie

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