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Der Historiker

Der Historiker

Titel: Der Historiker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Kostova
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noch immer geliebt habe. Helen verschloss den Brief mit einem verzweifelten Gesichtsausdruck. ›Eines Tages werde ich ihr alles erzählen‹, sagte sie, ›wenn ich es ihr ins Ohr flüstern kann.‹ Wir erfuhren nie, ob unser Brief sein Ziel tatsächlich erreichte, denn weder Tante Èva noch Helens Mutter schrieben zurück, und es war noch kein Jahr vergangen, als die sowjetischen Truppen in Ungarn einmarschierten.
    Ich hatte vor, mit Helen ein glückliches, normales Leben zu führen, und sagte ihr schon bald nach unserer Hochzeit, dass ich hoffte, wir würden Kinder bekommen. Zunächst schüttelte sie den Kopf und berührte vorsichtig die Narbe an ihrem Hals. Ich wusste, was sie meinte. Aber sie sei doch nur wenig verletzt worden, hob ich hervor, sie sei vollkommen gesund. Und mit fortschreitender Zeit schien sie ebenfalls von ihrer vollkommenen Genesung überzeugt zu sein, und ich beobachtete, wie sie mit wehmütigem Blick den Kinderwagen hinterhersah, denen wir auf der Straße begegneten.
    Helen erwarb ihren Doktortitel bereits im Frühjahr nach unserer Heirat. Die Geschwindigkeit, mit der sie ihre Dissertation fertig stellte, beschämte mich. Wie oft wachte ich in dem Jahr auf, um festzustellen, dass es erst fünf Uhr früh war und Helen bereits an ihrem Schreibtisch saß. Sie sah blass und müde aus, und an dem Tag, nachdem sie ihre Dissertation verteidigt hatte, wachte ich auf und fand sie blutend, schwach und in Schmerzen vor: Sie war schwanger gewesen und hatte das Kind verloren. Dabei hatte sie mich mit der guten Nachricht überraschen wollen. Die Wochen danach war sie krank und sehr still. Ihre Doktorarbeit erhielt die höchsten Auszeichnungen, aber sie sprach kein einziges Wort darüber.
    Als ich meinen ersten Lehrauftrag von einer Universität in New York City erhielt, drängte mich Helen, ihn anzunehmen, und wir zogen um. In Brooklyn Heights fanden wir ein angenehm heruntergekommenes braunes Sandsteinhaus, von dem aus wir Spaziergänge die Promenade entlang unternahmen. Wir beobachteten Schlepper und Lotsenschiffe und die großen Ozeandampfer – die letzten ihrer Art –, wie sie Richtung Europa auf der endlosen Fläche verschwanden. Helen lehrte an einer anderen Universität, die ebenso gut wie meine war, und ihre Studenten beteten sie an. Unser Leben befand sich in einem herrlichen Gleichgewicht, und wir verdienten unser Geld mit dem, was uns am besten gefiel.
    Hin und wieder holten wir das Leben des heiligen Georg hervor und blätterten bedächtig darin herum, und schließlich kam der Tag, an dem wir damit zu einem diskreten Auktionshaus gingen. Der Engländer dort, der es in Augenschein nahm, verlor fast das Bewusstsein. Es wurde privat verkauft und landete wahrscheinlich in The Cloisters in Upper Manhattan, und eine stattliche Summe Geld wanderte auf ein Konto, das wir extra zu diesem Zweck eingerichtet hatten. Helen war nicht an einem aufwändigen Lebensstil gelegen, und abgesehen davon, dass wir kleine Summen an ihre Verwandten in Ungarn schickten, ließen wir das Geld fürs Erste unberührt, wo es war.
    Helens zweite Fehlgeburt war dramatischer als die erste und auch gefährlicher. Ich kam eines Tages nach Hause und entdeckte blutige Fußspuren auf dem Holzboden des Flurs. Sie hatte noch selbst den Krankenwagen rufen können und war bereits fast außer Gefahr, als ich im Krankenhaus ankam. Das Bild dieser Fußspuren hat mich später immer wieder mitten in der Nacht aufwachen lassen. Ich fing an zu fürchten, dass wir nie ein gesundes Kind bekämen, und fragte mich, was das besonders für Helens Leben bedeuten würde. Dann wurde sie erneut schwanger, und Monat für Monat verging voller Vorsicht und ohne Zwischenfall. Helen bekam weiche Augen wie eine Madonna, die Formen unter ihrem blauen Wollkleid rundeten sich, und ihr Schritt wurde etwas unsicher. Sie hörte nicht mehr auf zu lächeln. Dieses Baby, sagte sie, würden wir bekommen.
    Du wurdest in einem Krankenhaus mit Blick über den Hudson geboren. Als ich sah, dass du die schönen Brauen deiner Mutter hattest, dunkel warst, so vollkommen wie eine neue Münze, und dass Helens Augen nach überwundenem Schmerz vor Freude überliefen, hielt ich dich, frisch gewickelt, wie du warst, in die Höhe und ließ dich einen Blick auf die Schiffe unter uns erhaschen. So konnte ich auch meine eigenen Tränen verbergen. Wir nannten dich nach Helens Mutter.
    Helen war völlig bezaubert von dir – das vor allem sollst du wissen, mehr als alles, das ich dir

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