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Der Historiker

Der Historiker

Titel: Der Historiker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Kostova
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Ich sah auf Rossis Dokumente vor mir und hielt unvermittelt inne. Ihr verächtlicher Blick brachte mein Gesicht zum Glühen.
    »Dracula?«, sagte sie sarkastisch. »Das scheinen mir alte Originale zu sein, was Sie da haben.« Sie hatte einen kräftigen Akzent, den ich nicht einordnen konnte, und ihre Stimme klang voll, wenn auch der Umgebung entsprechend leise, als könnte sie zu wirklicher Kraft kommen, wenn sie ihr freien Lauf ließ.
    Ich versuchte es mit einer anderen Taktik. »Lesen Sie das zum Spaß? Ich meine, zur Unterhaltung? Oder arbeiten Sie daran?«
    »Spaß?« Sie hielt das Buch immer noch aufgeschlagen, vielleicht als eine Art Waffe.
    »Nun, das Thema ist etwas ungewöhnlich, und da Sie sich ein Buch über die Karpaten ausgeliehen haben, müssen Sie doch ziemlich interessiert sein.« Seit der mündlichen Prüfung für mein Examen hatte ich nicht mehr so schnell gesprochen. »Ich wollte das Buch auch gleich ausleihen. Beide, um die Wahrheit zu sagen.«
    »So?«, sagte sie. »Und warum das?«
    »Nun…« Ich zögerte. »Ich habe hier diese Briefe von… aus einer ungewöhnlichen historischen Quelle… Und sie erwähnen Dracula. Sie handeln von ihm.«
    Ein schwaches Interesse glomm in ihrem Blick auf, als hätte das bernsteinfarbene Leuchten die Oberhand gewonnen, und richtete sich nun widerstrebend auf mich. Sie lehnte sich leicht auf ihrem Stuhl zurück und bekam etwas maskulin Ungezwungenes, ohne dass sie die Hände von ihrem Buch genommen hätte. Mir wurde bewusst, dass ich diese Bewegung schon hundertmal verfolgt hatte, dieses Nachlassen von Spannung, dieses sich Einlassen auf ein Gespräch. Aber wo und wann?
    »Was für Briefe sind das?«, fragte sie mit ihrem ruhigen ausländischen Tonfall. Ich dachte mit Bedauern, dass ich mich erst hätte vorstellen und meinen Status erläutern sollen, bevor ich so zur Sache kam. Aber aus irgendeinem Grund konnte ich jetzt nicht noch einmal neu ansetzen – plötzlich die Hand ausstrecken, um ihre zu schütteln, erklären, in welcher Fakultät ich war, und so weiter. Dann fiel mir auf, dass ich sie noch nie gesehen hatte, was hieß, dass sie sicher nicht zu den Historikern gehörte, es sei denn, sie war ein Neuzugang von einer anderen Universität. Und sollte ich lügen, um Rossi zu schützen? Ich entschied mich, mehr zufällig, es nicht zu tun, sondern ließ einfach seinen Namen weg.
    »Ich arbeite mit jemandem, der… ein paar Probleme hat. Die Briefe sind von ihm und ungefähr zwanzig Jahre alt. Er hat sie mir gegeben, weil er dachte, ich könnte ihm in seiner gegenwärtigen… Lage helfen… Dabei geht es um… Nun, er beschäftigt sich mit, ich meine, er hat sich mit…«
    »Verstehe«, sagte sie mit kühler Höflichkeit. Sie stand auf und packte ihre Sachen zusammen, gezielt und ohne Hast. Dann griff sie nach ihrer Aktentasche. Die junge Frau war etwa so groß, wie ich sie mir vorgestellt hatte, etwas sehnig und mit breiten Schultern. Als sie an den Tisch kam, hatte ich sie nicht wirklich beachtet.
    »Warum beschäftigen Sie sich mit Dracula?«, fragte ich verzweifelt.
    »Ich denke, das geht Sie nichts an«, sagte sie kurz angebunden und drehte sich weg, »aber ich plane eine Reise, wenn ich auch nicht genau weiß, wann ich fahren werde.«
    »In die Karpaten?« Plötzlich fühlte ich mich wie durchgeschüttelt von der ganzen Unterhaltung.
    »Nein.« Sie schleuderte mir das Wort entgegen, geradezu herablassend. Und dann, als könne sie nicht anders, fügte sie so geringschätzig an, dass ich ihr kaum zu folgen vermochte: »Nach Istanbul.«
     
     
    »Großer Gott«, hörte ich meinen Vater plötzlich in das Zwitschern am Himmel sagen. Die letzten Schwalben kreisten über uns, verschwanden in ihren Nestern, und der Ort mit seinen allmählich verlöschenden Lichtern wurde eins mit dem dunklen Tal. »Wir sollten hier nicht mehr sitzen, wo wir morgen eine solche Wanderung vorhaben. Pilger sollten früh zu Bett gehen, da bin ich sicher. Mit Einbruch der Dunkelheit etwa.«
    Ich streckte meine Beine. Mir war ein Fuß eingeschlafen, und die Steine der Kirchenmauer fühlten sich plötzlich hart und schrecklich ungemütlich an, besonders als ich an das Bett dachte, das auf mich wartete. Auf dem holprigen Weg hinunter zum Hotel würde es mir im Fuß stechen und kribbeln. Dazu kochte Ärger in mir, der noch viel schlimmer war als das Stechen in meinem Fuß. Mein Vater hatte seine Geschichte wieder viel zu früh abgebrochen.
    »Sieh«, sagte mein Vater und zeigte von

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