Der Historiker
letzte von ihnen führte die in Sarajevo und Skopje erhobenen Steuern auf Orte, die schon ein wenig näher an Draculas Zuhause lagen, wenn ich seinen Sitz in der Walachei so bezeichnen wollte, dennoch ein von ihm weit weg gelegener Teil des Reiches. Ich sammelte alles mit einem Seufzen zusammen und dachte an den kurzen, aber befriedigenden Besuch im Golden Wolf, den ich immer noch unternehmen konnte. Als ich die Pergamente zusammenrollen und in ihren Aktenkarton zurücklegen wollte, erregten jedoch ein paar Zeilen auf der Rückseite der letzten Steuerliste meine Aufmerksamkeit.
Es war eine kurze Liste, offensichtlich hingeschmiert, ein altes Gekritzel auf der Rückseite von Sarajevos und Skopjes amtlicher Schreibarbeit für den Sultan. Neugierig las ich, was da stand. Es schien sich um eine Ausgabenaufstellung zu handeln – die gekauften Dinge waren links notiert und die Kosten in einer nicht genannten Währung sorgfältig rechts daneben. »Fünf junge Berglöwen für Seine Herrlichkeit den Sultan, 45«, las ich voller Interesse. »Zwei goldene Gürtel mit wertvollen Steinen für den Sultan, 290. Zweihundert Schaffelle für den Sultan, 89.« Und dann kam der letzte Eintrag, bei dem sich mir die Haare auf den Armen aufrichteten, als ich das alte Pergament vor mir in die Höhe hielt: »Karten und militärische Aufzeichnungen vom Drachenorden, 12.«
Wie, werden Sie fragen, konnte ich das alles mit einem Blick aufnehmen, wo meine Kenntnisse des Arabischen doch so dürftig waren, wie ich es Ihnen bereits gestanden habe? Ja, mein schnell denkender Leser, Sie sind hellwach und folgen meinen mühsamen Studien sorgfältig, und dafür segne ich Sie. Dieses Gekrakel, diese mittelalterliche Notiz, war in Latein geschrieben. Ein darunter stehendes, schwach hingekratztes Datum elektrisierte mich: 1490.
Wie ich mich entsann, hatte der Drachenorden 1490 in Trümmern gelegen, zerschlagen von osmanischer Macht. Vlad Dracula war seit vierzehn Jahren tot und der Legende nach in einem Kloster auf einer Insel im Snagov-See begraben. Die Karten des Ordens, Aufzeichnungen, Geheimnisse – worauf immer diese schwer fassbare Formulierung sich beziehen mochte – waren billig gekauft worden, äußerst billig, verglichen mit dem Schmuck und der Ladung stinkender Schafwolle. Vielleicht waren sie dem Einkauf des Händlers in letzter Minute noch hinzugefügt worden, als eine Kuriosität und Schmeichelei, ein Beispiel für die Bürokratie der Eroberung, um einen gebildeten Sultan zu amüsieren, dessen Vater oder Großvater widerwillig seiner Bewunderung für den kämpferischen Drachenorden Ausdruck gegeben hatte, der ihm am Rand des Reiches ständig zusetzte. War mein Kaufmann ein Balkanreisender, der lateinisch schrieb und verschiedene slawische und lateinische Dialekte sprach? Zweifellos war er hoch gebildet, da er überhaupt zu schreiben vermochte, vielleicht ein jüdischer Kaufmann, der gleich drei oder vier Sprachen beherrschte. Wer immer er war, ich dankte seiner Asche, die Ausgaben notiert zu haben. Wenn er seinen Erwerb ohne Zwischenfall auf den Weg gebracht hatte, und wenn das alles den Sultan sicher erreicht und – die Wahrscheinlichkeit schrumpfte – in des Sultans Schatzkammer überlebt hatte, zwischen Juwelen, getriebenem Kupfer, byzantinischem Glas, barbarischen Kirchenreliquien, Werken persischer Dichtkunst, Geheimlehren, Atlanten, astronomischen Karten…
Ich ging zum Tisch des Bibliothekars, der in einer Schublade stöberte. »Entschuldigen Sie«, sagte ich. »Haben Sie ein nach Ländern geordnetes Verzeichnis von Archiven? Von Archiven in… in der Türkei zum Beispiel?«
»Ich weiß, wonach Sie suchen, Sir. Es gibt ein solches Verzeichnis für Universitäten und Museen, auch wenn es keinesfalls vollständig ist. Wir haben es allerdings nicht hier, Sie können es an der Zentralinformation einsehen. Die ist morgen ab neun wieder geöffnet.«
Mein Zug nach London ging, wie ich wusste, um zehn Uhr vierzehn. Es würde nur zehn Minuten dauern, die einzelnen Möglichkeiten in Augenschein zu nehmen. Und falls der Name Sultan Mehmeds II. oder der eines seiner direkten Nachfolger darunter auftauchte – nun, so verrückt war ich nun auch wieder nicht danach, Kreta sehen zu wollen.
Der Ihre in tiefstem Kummer, Bartholomew Rossi
Die Zeit schien in der hohen gewölbten Halle der Bibliothek still zu stehen, trotz all der Geschäftigkeit um mich herum. Ich hatte einen ganzen Brief gelesen, aber da gab es zumindest noch vier
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