Der Hobbit
Gute Volk.
In einer großen Höhle im Düsterwald, wenige Meilen von seinem östlichen Rand, lebte zu dieser Zeit ihr mächtigster König. Vor dem großen steinernen Tor floss ein Fluss vorüber, der von den bewaldeten Höhen herabkam und in die Sümpfe zu Füßen des Hochlandes mündete. Die große Höhle, an die sich nach allen Seiten ungezählte kleinere anschlossen, zog sich weit unter der Erde hin, mit vielen Gängen und geräumigen Hallen, aber sie war heller und reinlicher als die Orkstollen und auch nicht so tief und so gefahrenreich. Eigentlich lebten und jagten die Untertanen des Königs vor allem in den lichteren Teilen des Waldes; sie wohnten dort in Hütten auf dem Boden oder im Geäst. Von den Bäumen waren ihnen die Buchen am liebsten. Die Höhle des Königs war zugleich sein Palast, seine Schatzkammer und die Festung seines Volkes gegen Feinde.
Außerdem war sie der Kerker für seine Gefangenen. Soviel über die Höhle, zu der die Waldelben Thorin schleppten – wobei sie nicht allzu sanft mit ihm umgingen, denn sie mochten die Zwerge nicht und hielten ihn für einen Feind. In alten Zeiten hatten sie mit manchen Zwergenvölkern Krieg geführt, denen sie vorwarfen, ihnen einen Schatz geraubt zu haben. (Fairerweise muss gesagt werden, dass die Zwerge die Sache anders sahen: Sie behaupteten, sich nur genommen zu haben, was ihnen zustand, denn ein Elbenkönig habe sie sein Rohgold und Rohsilber schmieden lassen und ihnen nachher den vereinbarten Lohn verweigert.) Wenn der Elbenkönig eine Schwäche hatte, so war es die Begierde nach Schätzen, besonders nach Silber und weißen Edelsteinen; und obgleich seine Schatzkammern schon übervoll waren, wollte er immer noch mehr haben, so viel wie andere Elbenfürsten in alter Zeit. Sein Volk hatte weder Bergwerke, noch konnte es die Metalle und Edelsteine bearbeiten; und auch um Handel und Ackerbau kümmerten sich die Elben nur wenig. All dies war jedem Zwerg bekannt, doch Thorins Familie hatte mit den alten Streitigkeiten nie etwas zu tun gehabt. Darum ärgerte es Thorin, wie sie ihn behandelten, als sie ihren Bann von ihm genommen hatten und er wieder zu sich kam. Er nahm sich vor, dass sie kein Wort von Gold oder Juwelen aus ihm herauslocken sollten.
Als er dem König vorgeführt wurde, sah der ihn finster an und stellte ihm viele Fragen. Aber Thorin sagte immer nur eines: dass er am Verhungern sei.
»Warum hast du mit deinen Leuten dreimal versucht, mein Volk während seines Festes anzugreifen?«, fragte der König.
»Wir haben euch nicht angegriffen«, antwortete Thorin;»wir wollten um etwas zu essen bitten, weil wir am Verhungern waren.«
»Wo sind deine Freunde jetzt, und was tun sie?«
»Ich weiß es nicht, aber ich nehme an, sie sind im Wald und haben Hunger.«
»Was wolltet ihr im Wald?«
»Nahrung und Wasser suchen, um nicht zu verhungern.«
»Aber weshalb seid ihr überhaupt in den Wald gekommen?«, fragte der König verärgert.
Da klappte Thorin den Mund zu und sagte kein Wort mehr.
»Na schön!«, sagte der König. »Nehmt ihn mit und verwahrt ihn sicher, so lange, bis er bereit ist, die Wahrheit zu sagen, und wenn es hundert Jahre dauern sollte.«
Dann legten die Elben ihm Fesseln an und sperrten ihn in eine der innersten Kammern, die mit dicken Holztüren verschlossen war, und ließen ihn allein. Sie gaben ihm zu essen und zu trinken, beides reichlich, wenn auch nicht vom Besten. Waldelben waren jedenfalls keine Orks und behandelten Gefangene, auch wenn sie ihre ärgsten Feinde waren, halbwegs anständig. Die einzigen Lebewesen, mit denen sie kein Erbarmen hatten, waren die Riesenspinnen.
Dort also lag der arme Thorin im Kerker des Königs; und nachdem er sich dankbar mit Brot, Fleisch und Wasser gestärkt hatte, begann er zu grübeln, was wohl aus seinen unglücklichen Freunden geworden sein mochte. Es sollte nicht sehr lange dauern, bis er es erfuhr; doch das gehört ins nächste Kapitel und an den Anfang eines neuen Abenteuers, in dem sich der Hobbit wiederum als nützlich erwies.
KAPITEL IX
FÄSSER UNVERZOLLT
A m Tag nach ihrem Kampf mit den Riesenspinnen unternahmen Bilbo und die Zwerge eine letzte verzweifelte Anstrengung, den Ausweg aus dem Wald wiederzufinden, bevor sie dem Hunger und dem Durst erlagen. Sie rafften sich auf und stolperten los in die Richtung, in der acht von den dreizehn, die sie waren, den Pfad vermuteten; ob sie aber recht hatten, erfuhren sie nie. Schon wich das Tageslicht, sofern in diesem
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