Der Hobbnix - Die große Tolkien-Parodie 2: Hobbnix 2
Heinrich begann. Zuvor war ich mir nur allzu schmerzlich bewusst, dass die meisten Lebenden Geistern gegenüber tiefe Gefühle von Angst und Hass hegen; mir wurde jedoch erst bewusst, dass Geister ebensolche Gefühle gegenüber den Lebenden hegen, als Heinrich in mein Leben trat. »In unserer Literatur ist das ein zentrales Motiv«, erklärte er mir.
»Ihr habt eure eigene Literatur?«, fragte ich überrascht.
»Aber ja. Sonst wären wir wohl kaum so gut darin, Bücher für euch Entgeisterte zu schreiben. Wir üben fleißig in unseren Lieblingsgenres.«
»Und welche Genres sind das?«
»Du wirst es nicht glauben, aber wir lesen furchtbar gerne romantische Bücher über Untote. Stolz und Vorurteil und Zombies 17 beispielsweise – zum Dahinschmelzen. Auch Séance Fiction ist ziemlich populär.«
Heinrich und ich verstanden uns auf Anhieb. Wir hatten auch kein Problem damit, Berufliches und Persönliches miteinander zu verbinden. Mein Verlag hatte mich damals gebeten, alle Mythen und Legenden Obermittelerdes, die ich in Erfahrung bringen konnte, nachzuerzählen und unter dem Titel Das Stiehlnemillion zu veröffentlichen. Nach einem Jahr harter Arbeit hatte ich an die tausend Seiten geschrieben, alle ungefähr in diesem Stil:
Mit Trommeln und Trüffeln bestückt versammelte sich das Heer von Saus an der großen Stallmauer im Norden, und Frikandeau von Ringel rief: »Pflanzt unsre Hauer auf die Koben, es heißt: Sie kommen. Aber wir spucken der Belagerung ins feiste Gesicht. Mögen sie hier versauern, bis die Tröge aufgezehrt und die Hufe gepaart sind. Verstärkten die nicht sie, die einst mit uns stritten, wir hätten sie lebendigen Leibes Wurf um Wurf paniert …« Und wieder spänte er Asche auf seine Borsten, und ein Wehklagen ging durch die Bachen.
Und so weiter. Nennt es Genie oder göttliche Eingebung, jedenfalls floss es mir einfach so aus der Feder. Glücklicherweise erfuhr ich von Seiten des Verlags wie immer bedingungslose Unterstützung, wobei die Unterstützung in diesem Fall bedeutete, dass man mir mitteilte, das Buch müsse komplett umgeschrieben werden. Damit war ich natürlich nicht einverstanden. Ich schlug mit der Faust auf den Tisch. Dann wischte ich den Tisch ab. Dann schlug ich nochmal auf den Tisch. So drückt ein Hobbnix gemeinhin Missbilligung aus.
Um ganz ehrlich zu sein: Wenn es irgendein anderer Ghostwriter gewesen wäre und nicht Heinrich, dann würde ich noch heute mit der Faust auf den Tisch schlagen und ihn danach abwischen. Doch als mein Verleger ein Treffen arrangierte, war ich von Heinrich sofort eingenommen. Er war so herrlich gruselig! Schwer zu sagen, was er in mir sah – ich bin ja froh, dass er überhaupt etwas in mir sah. Jedenfalls machte Heinrich bei Das Stiehlnemillion einen hervorragenden Job. Behutsam ging er den Text durch, feilte sensibel und mit weiser Zurückhaltung an einigen wenigen Sätzen, glättete ausgewählte Stellen und modernisierte auf dezente Weise den Ton. So änderte er etwa die oben zitierte Stelle in
Und dann
Und er fügte einige großartige Szenen hinzu wie diese:
Lieutenant Warzenschwein biss die Kartusche auf, die eine frische Ladung Armbrustbolzen enthielt. Sein verdrecktes Gesicht wurde nur von den Blitzen des gegnerischen Feuers beleuchtet. »Hört zu, ihr Frischlinge«, knurrte er den verbliebenen Frontschweinen der Einsatzgruppe Balrog Two Zero zu. »Die haben uns ganz schön bei den Zitzen. Da draußen sind zehntausend Gobblins und wollen uns mit ihren Schnäbeln zu Tode picken. Und nur sechs von uns sind noch übrig. Jetzt heißt es: Friss und stirb! Werden wir sie alle töten? Ja, werden wir! Und werden sie sterben?« Als wären sie ein Eber, riefen die kampferprobten Soldaten: »Sir, ja, Sir!« Warzenschwein verteilte die Munition und gab den Befehl zum Laden. »Wir sehen uns auf der anderen Seite, Männer«, rief er dann, und mit wildem Gebrüll stürmten die Kämpfer von Balrog Two Zero den Hügel hinauf.
Toll, nicht wahr? Na ja, ich hätte das natürlich auch so schreiben können, aber immer die Verlage mit ihren Abgabeterminen … Auf jeden Fall war auch Wilhelm ganz begeistert 18 , und als das Buch schließlich erschien, verkaufte es sich in großer Zahl (57 Stück, soweit ich mich erinnere). 19 Um diesen Erfolg zu feiern, lud ich Heinrich ein, mit mir auszugehen, doch es stellte sich heraus, dass er nicht »ausging« (das tun Geister nie, sie sind sehr häuslich). Und so hatten wir ein kleines intimes Abendessen in meiner
Weitere Kostenlose Bücher