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Der Höllenbote (German Edition)

Der Höllenbote (German Edition)

Titel: Der Höllenbote (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Lee
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nicht, was ich gesagt habe. Vergiss nicht seine heilige Botschaft.«
    Carltons Herz war nur noch ein absterbender Klumpen.
    »Die Ankunft des Boten ist nahe ...«
    Und dann war sie weg.
    Die Vision verschwand und ließ Carlton allein in der Totenstille zurück. Der Abstellraum kam ihm kalt vor, wie ein begehbarer Kühlschrank, und das Licht der Taschenlampe, das von den engen Wänden reflektiert wurde, schien so grell, dass es ihm in den Augen wehtat. Ich muss wohl eingeschlafen sein, sagte er sich, und hatte einen Albtraum . Und was für einen Albtraum, einen von der grausamsten Sorte! Wie konnte sein Geist sich etwas so Widerwärtiges ausdenken?
    Das eingebildete Armband war ebenfalls verschwunden. Nichts von alledem war real gewesen. Alles, was blieb, war das quadratische Loch vor ihm – dort, wo er die Rigipsplatte herausgeschlagen hatte. Er nahm sich einige Augenblicke Zeit, um sich zu beruhigen und die Nachbilder des Horrors zu vertreiben, dann betrachtete er erneut das Loch.
    So kann ich das nicht lassen. Ich sollte wenigstens die Platte wieder festmachen.
    Er kroch vorwärts, schob sich mit Kopf und Schultern durch die Öffnung und leuchtete mit der Taschenlampe. Der Raum unter dem Postamt schien riesig zu sein, war aber komplett leer. Keine Rohre, keine Kabel, nichts, was man normalerweise erwartete. Er sah nicht einmal die Platte. Sie musste hinter die Öffnung gefallen sein.
    Aus welchen Gründen auch immer, und so sehr er sich auch bemühte, diese Wahnvorstellung seiner verschwundenen Tochter zu verdrängen – die seltsamen Worte der Vision drängten sich für eine Sekunde zurück in seinen Kopf:
    Sehet den Boten. Die Ankunft des Boten ist nahe.
    Als Carlton sich tiefer in die Öffnung hineinbeugte, erkannte er, dass der Raum nicht ganz leer war.
    Da war etwas. Er streckte den Arm aus, um es zu berühren.
    Es sah aus wie ein Karton.

Kapitel 2
    (I)
    Marlene brauchte jeden Morgen ihren Kaffee, und zwar einen großen. Schwarz, ohne Schnickschnack. Und wie jeden Morgen kaufte sie sich einen im Qwik-Mart zwei Straßen vom Hauptpostamt entfernt.
    Der einzige Unterschied zwischen heute und den Tagen davor: Marlene arbeitete nicht länger im Hauptpostamt. Sie arbeitete jetzt in der Westfiliale, die man erst gestern eröffnet hatte.
    Sie sah aus wie immer: klein, hübsch, mokkabraune Augen und glänzende, glatte Haare, die man je nach Lichteinfall als dunkelblond oder hellbrünett bezeichnen konnte. Sie befand sich in ausgezeichneter körperlicher Verfassung, nachdem sie zehn Jahre lang für die Post gearbeitet hatte; die Hälfte ihrer Zustellschicht erledigte sie mit dem Wagen, aber die andere Hälfte ging sie zu Fuß. Dadurch blieben ihre Beine straff und gebräunt. Häufig wanderten Blicke an ihren offiziellen Postshorts hinauf, streiften über das hellblaue Hemd, das immer ein wenig mit ihrem mehr als üppigen Busen überfordert zu sein schien. Mit Mitte 30 sah Marlene noch genauso begehrenswert aus wie jede zehn Jahre jüngere Frau in der Stadt.
    »Marlene«, sagte Marvic, der graubärtige Besitzer des Qwik-Marts. Er kam vom Balkan und hatte einen interessanten Akzent, der halb deutsch, halb arabisch klang. »Versteh mich bitte nicht falsch, aber du machst diesen Shorts alle Ehre.«
    Marlene lächelte fröhlich und trank einen Schluck von ihrem Kaffee. »Danke, Marv. Mein Mann sagt mir das auch jeden Morgen, aber er drückt sich etwas einfacher aus. Er sagt immer, dass ich einen Mordsarsch habe.«
    »Dieser Aussage kann ich ohne Einschränkung beipflichten.«
    »So, ich muss los, Marv. Die Arbeit ist noch zwei Straßenblocks entfernt und ich bin spät dran.«
    »Warte. Hast du nicht gestern erwähnt, dass du nicht mehr im Hauptpostamt arbeitest?«
    »Das stimmt, Marv. Ich bin in die Westfiliale versetzt worden.«
    »Aber die ist auf der anderen Seite der Stadt, oder?«
    »Ja. Aber ich muss hier erst noch was abgeben. Einen schönen Tag!« Als sie den Laden verließ, wusste sie, dass Marvics Augen ihr folgten. Marlene fasste es als Kompliment auf. Es schmeichelte ihrem Ego als Frau.
    Einige Minuten später bremste sie auf dem Parkplatz vor dem Hauptpostamt. Einen Moment lang blieb sie vor dem Wagen in der Sonne stehen, um einen Blick auf das große und ziemlich sterile Backsteingebäude zu werfen. Die Westfiliale war zwar deutlich älter, aber viel schöner. Das Gebäude der Westfiliale sah hübsch aus, man hatte die langweiligen Backsteine leuchtend weiß angestrichen, mit pastellblauen Rändern und

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