Der Höllenbote (German Edition)
kleinen Kunstwerken der Kinder aus der örtlichen Grundschule auf den Scheiben der vorderen Fenster.
Aber dieser Bau hier ...
Dieser Bau sieht scheiße aus, dachte Marlene mit ungewohnter Obszönität. Es war nicht ihre eigene Stimme, die sie in ihrem Kopf hörte, aber das registrierte sie in diesem Augenblick nicht.
Und die Leute dort drinnen ... sind auch Scheiße.
Die Stimme verfinsterte sich.
Es wird Zeit, schöne Marlene. Es wird Zeit, eine Botschaft zu überbringen, nicht wahr?
»Ja«, antwortete Marlene sich selbst mit leiser Stimme.
Die Eingangstür glitt vor ihr auf und Marlene trat in die klimatisierte Luft, die so kühl war, dass sich unwillkürlich ihre Nippel zusammenzogen. Das Gefühl war so intensiv, dass sie an ihren Mann denken musste – wie er sie gern von hinten überraschte, die Arme um sie legte und ihr in die Brustwarzen kniff. Ja, ja, genau so fühlte es sich an ...
Als ob jemand hinter ihr stand. Haut an Haut. Und ihr in die Nippel zwickte.
Aber das war unmöglich. Sogar in der seltsamen Benommenheit, die Marlene seit ihrem gestrigen ersten Arbeitstag in der Westfiliale verspürte, wusste sie, dass hinter ihr niemand war.
»Hi, Marlene!«, begrüßte sie Emmy, ihre Freundin, die am ersten Schalter saß. Auch die Kunden, die davor in der Schlange standen, wandten die Köpfe, und alle lächelten und winkten ihr zu. »Wie war der erste Tag am neuen Arbeitsplatz?«
»Oh, großartig. Es gefällt mir da.«
»Aber bestimmt vermisst du diesen Laden auch, oder? Wenigstens ein kleines bisschen?«
Marlene schenkte ihrer Freundin ein Lächeln, wie es wärmer nicht hätte sein können. »Natürlich. Und vor allem vermisse ich meine alten Kollegen. Und wie!«
Wirklich, wirklich?, dachte sie wieder mit dieser seltsamen Stimme, einer Stimme, die wie ihre eigene klang, nur mit einer anderen, zischenden Stimme im Hintergrund.
Du vermisst diesen Ort nicht. Du vermisst diese Leute nicht.
Marlene runzelte innerlich die Stirn.
Und sie werden diese Welt nicht vermissen ...
»Na ja, du fehlst uns hier auch«, fuhr Emmy fort, während sie eine Briefmarke auf das Paket eines Kunden klebte. »Aber so ist es besser. Die Westfiliale entlastet uns wirklich sehr. Ich kann immer noch nicht glauben, wie sehr Danelleton im letzten Jahr gewachsen ist.«
»Ja«, murmelte Marlene.
Sie stand nur da. Und starrte vor sich hin.
»Und was führt dich jetzt hierher?«, wollte Emmy wissen.
Marlene fühlte sich, als schwebe sie. Sie brauchte einige Augenblicke, um zu antworten: »Oh, ich wollte nur ...« Dann eine lange Pause.
Emmy warf ihr einen besorgten Blick zu. »Marlene? Ist alles in Ordnung?«
Marlenes Augen fühlten sich heiß an, als hätte jemand glühende Kohlen in ihre Augenhöhlen gestopft. Die Worte, die aus ihrem Mund drangen, schienen zu dröhnen. »Ich bin nur vorbeigekommen, um kurz Hallo zu sagen.«
Emmy schielte zu ihr herüber, ebenso einige Kunden in der Schlange. »Und ich muss dieses Päckchen hier abgeben.«
»Ein Päckchen?«, fragte ein anderer Schalterangestellter. »Für uns?«
»Ja. Eilzustellung«, antwortete Marlene.
Schwankend stand Marlene da und doch fühlte sie sich sehr sicher in dem, was sie nun tun würde. Und auch die Stimme in ihrem Kopf – zum Teil ihre, zum Teil die von jemand anderem – triefte von Selbstsicherheit. Ich bin der Bote. Überbringe meine Botschaft ...
Wieder hatte sie das Gefühl, dass jemand unmittelbar hinter ihr stand, mit Sicherheit eine männliche Gestalt, denn sie konnte wieder spüren, wie die körperlosen Hände an ihren Seiten auf und ab glitten und über ihre Brüste strichen. Hätte jemand genauer hingesehen, ihm wären vielleicht die kaum erkennbaren Handabdrücke aufgefallen, die über den Stoff ihres Arbeitshemds glitten.
»Marlene, was ist los mit dir?«, fragte Emmy nun mit etwas schärferer Stimme. »Und was ist mit diesem Päckchen? Ist eine Sendung für unseren Zustellbereich bei euch in der Filiale gelandet?«
»Nein«, sagte Marlene, die von den unsichtbaren Berührungen allmählich geil wurde. Für einen winzigen Moment zuckte ihr Blick zur Seite auf das große Fenster Richtung Straße, und darin erhaschte sie ihr Spiegelbild.
Und noch ein anderes Spiegelbild.
Von jemandem direkt hinter ihr. Ein Mann oder etwas Ähnliches wie ein Mann. Seine Hände berührten sie. Das Bild schien fast transparent zu sein, wie ein ferner Umriss im Nebel. Und dann glitten die fast gestaltlosen Hände dieses Umrisses an Marlenes Armen hinab zu
Weitere Kostenlose Bücher