Der Höllenbote (German Edition)
konnte die Echtheit des Drucks nicht zweifelsfrei belegen ...
Er wusste schlicht und einfach, dass er echt war.
Dhevic wusste eine Menge.
Die Abbildung war der Überlieferung nach aus einem 900 Jahre alten Buch mit dem Titel Das Grimoire de Praelata herausgerissen worden, das angeblich als ›Prälaten‹ bezeichnete Anti-Priester verfasst hatten. Diese satanischen Visionäre pflegten sich in Trance zu versetzen, um geistigen Kontakt zu den Hohepriestern der Hölle aufzunehmen und anschließend ihre Episteln für die irdischen Teufelsanbeter niederzuschreiben. Wie es hieß, stammte der Stich selbst von einem Künstler, der über das gleiche visionäre Talent verfügte.
Dhevic lachte im Schein der Lampe. Diesen Stich hätte man vermutlich locker für eine Million Dollar an einen privaten Sammler verkaufen können, aber hier saß er, in einem Motel in St. Petersburg für 40 Dollar die Nacht, und löffelte Baked Beans aus dem Supermarkt kalt aus der Dose.
Er wusste, dass er mehr Geld brauchte. Seine Gönner ließen ihn zwar nicht hängen, waren aber in letzter Zeit manchmal etwas spät dran. Diese Absteige war alles, was er sich momentan leisten konnte. Hin und wieder hörte er Gezänk durch die Tür. In regelmäßigen Abständen zerriss der Lärm aufgemotzter Autos und viel zu lauter Motorräder die Nacht wie eine Explosion. Im Nebenzimmer schlug ein Bettgestell rhythmisch gegen die Wand und eine ungeduldige Frauenstimme meckerte: »Beeil dich, Mann! Deine halbe Stunde is’ rum!«
Ja, in Zeiten wie diesen konnte Dhevic nur im Stillen über die seltsame Berufung lachen, die er geerbt hatte. Wenn er durch die verbogenen Lamellen der Jalousie schielte, sah er auf der anderen Straßenseite ein Denny’s, dessen Schild im erleuchteten Fenster versprach: FRÜHSTÜCK DIE GANZE NACHT!
Gott, wie gern hätte ich jetzt ein Omelett, dachte er und musste wieder lachen. Die Bohnen schmeckten ja nicht übel, aber jeden Tag?
Er lächelte und schloss die Jalousie.
Eigentlich wollte er den Fernseher nicht einschalten – es kamen ja doch immer die gleichen Meldungen –, aber er tat es trotzdem. Vor langer Zeit, ganz am Anfang, hatte er gelernt, nie erschrocken oder schockiert zu sein. Es brachte nichts.
Man gewöhnt sich daran.
Außerdem hatte er schon viel, viel Schlimmeres gesehen.
Die Bettfedern quietschten, als er sich auf die Matratze setzte. Der Fernsehschirm erwachte zum Leben.
Die Reporterin von Channel 9 stand vor der Schule, ihr mit Haarspray fixiertes blondes Haar welkte in der feuchten Luft dahin. Ihre Nerven lagen offenkundig blank, als sie von den Ereignissen berichtete.
»... die zweite unerklärliche Tragödie innerhalb von drei Tagen in der vormals ruhigen Stadt Danelleton, beide begangen von Angestellten der hiesigen Postfiliale ...«
Schnitt zu einem Foto aus einer Personalakte.
»Den Angaben der Polizei zufolge kam es heute zu einem Massaker in der Seaton-Schule für christliche Mädchen, bei dem der langjährige Abteilungsleiter der Post von Danelleton, Carlton Spence, eine Nonne, eine Angestellte und sechs Schülerinnen ermordete, bevor er sich bei Ankunft der Polizei am Wohnheim der Schule selbst das Leben nahm ...«
Das Bild wechselte zurück zur fassungslosen Reporterin, die tapfer weiterredete. Im Hintergrund kamen und gingen Polizisten und Sanitäter durch den Säuleneingang des Wohnheims.
»Mit diesem zweiten entsetzlichen Massenmord steigt die Zahl der Todesopfer in Danelleton in dieser Woche auf 38 ...«
Die Worte verblassten in Dhevics Kopf. All das hatte er schon früher erlebt – und er war nicht überrascht. Er wusste nur zu gut, dass es wieder und wieder passieren würde.
Er nickte auf dem Bett ein, komplett angezogen. Seine Träume waren grässlich, wie so oft, denn üblicherweise griffen sie das auf, was er in seinen Visionen sah. Schrecken über Schrecken über Schrecken an einem Ort, an dem Zeit nicht im eigentlichen Sinne existierte. Sekunden verflossen in Qualen, Minuten in Schreien, Stunden in Gräueltaten, die ohne jeden Zweck, nur um ihrer selbst willen, begangen wurden.
Es war nicht zu begreifen. Nicht für Menschen.
Der menschliche Geist konnte es nicht verarbeiten, er konnte diesen immerwährenden Krieg nicht erfassen. Wir sind zu dumm, zu einfach und zu primitiv, dachte er.
Manches soll der Mensch nicht wissen ...
Das musste reichen.
Er richtete sich auf dem Bett auf und rieb sich die Augen. Dann stand er auf, stieg über eine Kakerlake und ging ins Bad. Er
Weitere Kostenlose Bücher