Der Hof (German Edition)
anderes machen?»
Abschätzend betrachte ich die Säcke, obwohl ich weiß, dass es nur darum geht, Zeit zu schinden. «Ich nehme an, ich kann auch erst den alten Mörtel aus den Fugen kratzen», sage ich zweifelnd.
«Gut», sagt sie und geht wieder hinaus in den Hof.
Ich schaue mich ein letztes Mal in dem dunklen Raum mit den Werkzeugen um, die jemand einfach so liegen gelassen hat. Erst dann folge ich ihr ins Sonnenlicht. Mathilde wartet im Innenhof, und obwohl ihr Gesicht so undurchdringlich ist wie immer, wirkt sie sehr blass.
«Alles in Ordnung?», frage ich.
«Natürlich.» Ihre Hand fährt zu den Haaren und schiebt sie automatisch zurück. «Gibt’s sonst noch was, das du im Moment brauchst?»
«Na ja, mir sind die Zigaretten ausgegangen. Gibt’s irgendwo in der Nähe einen Laden, wo ich welche kaufen kann?»
Sie denkt über dieses neue Problem nach. «Es gibt eine Tankstelle mit Bar-Tabac, aber das ist zu weit, um …»
Die Haustür öffnet sich, und Gretchen taucht auf. Sie trägt Michel auf einer Hüfte, und sie presst die Lippen aufeinander, als sie uns sieht. Sie ignoriert mich und wirft ihrer Schwester einen verdrießlichen Blick zu.
«Papa will ihn sehen.» Mit grimmiger Zufriedenheit nickt sie zu mir herüber. «Allein.»
Es ist das erste Mal, dass ich ins Haus darf, seit ich damals nach Wasser gefragt habe. Die Küche hat eine niedrige Decke und ist düster. Die dicken Wände und die kleinen Fenster sind wie geschaffen, damit es in der Sommerhitze schön kühl bleibt. Es riecht nach Bienenwachs, nach gekochtem Fleisch und Kaffee. Ein alter Herd dominiert die eine Wand, und die schweren Holzmöbel sehen aus, als stünden sie schon seit Generationen hier. Die zerkratzten weißen Kästen, der Kühlschrank und der Gefrierschrank, wirken in dieser Umgebung geradezu aufdringlich modern.
Arnaud säubert seine Waffe an einem vernarbten Holztisch. Die Halbmondbrille, die auf seiner Nase sitzt, verleiht ihm ein gelehrtes Aussehen, das ich nur schwer mit dem Mann zusammenbringe, der mich die Treppe runtergeworfen hat. Er blickt nicht auf und arbeitet weiter an dem Gewehr, als wäre ich gar nicht da. Ich nehme den Geruch nach Waffenöl wahr und nach etwas anderem, von dem ich vermute, es ist Kordit. Er schiebt eine lange Drahtbürste in den Lauf seines Gewehrs. Ein sanftes Flüstern ist zu hören, während er die Waffe säubert.
Ich verlagere mein Gewicht auf die Krücke. «Sie wollten mich sehen?»
Er schaut ohne Eile durch den Lauf, ehe er die Waffe senkt. Dann nimmt er die Brille ab, klappt sie zusammen, steckt sie in die Brusttasche und lehnt sich zurück. Erst danach blickt er mich an.
«Mathilde meint, Sie suchen einen Job.»
Das gibt unser Gespräch nicht unbedingt wieder, aber ich verzichte darauf, ihn zu korrigieren. «Wenn’s einen gibt …»
«Das ist die Frage, nicht wahr?» Arnauds Kiefer mahlen. Darunter hat die Haut an seinem Hals im Laufe der Jahre ihre Spannkraft verloren. «Meine Tochter kann Ihnen sagen, was sie gerne haben möchte, aber ich bin derjenige, der entscheidet, wer hier arbeitet. Schon mal auf einem Hof gearbeitet?»
«Nein.»
«Irgendwelche Erfahrungen auf dem Bau?»
«Nicht viel.»
«Und wieso sollte ich Ihnen dann eine Chance geben?»
Mir fällt eigentlich auch kein guter Grund ein. Ich bleibe also stumm und versuche, nicht auf das Gewehr zu starren. Arnaud schnaubt.
«Warum sind Sie überhaupt hier?»
Mir liegt schon fast auf der Zunge, ihm zu erklären, dass seine Fallen daran schuld sind, aber das würde ihn nur provozieren. Selbst wenn ich mir nicht mehr so große Sorgen mache, dass er auf mich schießen könnte, bin ich mir auf unangenehme Art bewusst, dass jedes Jobangebot allein von seiner Gunst abhängt.
«Was meinen Sie damit?»
«Ich
meine
, was Sie hier zu suchen haben. Wieso wandern Sie durch ein fremdes Land wie ein Landstreicher? Sie sind zu alt, um noch Student zu sein. Womit verdienen Sie Ihr Geld?»
Ich erkenne an seinem Verhalten, dass Gretchen ihm etwas erzählt haben muss. «Ich hatte da ein paar Jobs.»
«Nur ein paar? Sie geben wohl nicht gern allzu viel preis, kann das sein? Haben Sie was zu verbergen?»
In diesem Moment habe ich das Gefühl, nichts zu wiegen. Ich bin mir bewusst, wie verräterisch meine Wangen sich röten, weil mir Blut ins Gesicht schießt. Aber ich zwinge mich, seinen Blick zu erwidern.
«Nein. Warum sollte ich?»
Arnauds Mund arbeitet, entweder eine Angewohnheit, oder er kaut auf einem Essensrest
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