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Der Hof (German Edition)

Der Hof (German Edition)

Titel: Der Hof (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Beckett
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mir wegzunehmen, um es zu zerreißen. Sie besteht darauf, dass wir uns in einem Bed & Breakfast einmieten, das weit über unserem üblichen Budget liegt, und wir speisen vorzüglich und sehr knoblauchlastig in einem italienischen Restaurant. Wir sind mehr als nur ein bisschen betrunken, als wir zurück ins Hotel gehen, und machen laut «Psst» und kichern viel, als wir unser Zimmer aufschließen. Und dann machen wir noch mehr Lärm, als wir uns lieben.
    Nach drei Tagen nehmen wir den Zug zurück nach London. Ein Luxus, auf dem Chloe besteht, weil wir uns so was jetzt leisten können. Wir kommen am späten Nachmittag heim und erfahren als Erstes, dass der Galeriebesitzer Insolvenz angemeldet hat, die Galerieeröffnung abgesagt ist und sein ganzes Vermögen eingezogen wurde. Inklusive Chloes Gemälde.
    «Das können sie nicht machen! Diese Scheißkerle, das dürfen die einfach nicht!»
    Ich versuche ihr zu erklären, dass sie die Bilder bestimmt irgendwann zurückbekommt. Aber ich weiß, dass es ihr gar nicht um die Bilder geht. Es ist die Chance, für die diese Bilder stehen.
    «Lass mich in Ruhe», sagt sie tonlos, als ich versuche, sie zu trösten.
    «Chloe …»
    «Ich meine das ernst! Lass mich einfach in Ruhe.»
    Und das tue ich. Ich bin froh, eine Entschuldigung zu haben, um rauszugehen. Ich brauche ein bisschen Zeit für mich, um diese ganze Sache irgendwie wegzustecken. Weniger Chloes Enttäuschung, sondern vielmehr dieses gemeine Gefühl der Erleichterung, das sich bei mir einstellte, als ich vom Bankrott des Galeriebesitzers hörte. Jetzt wird sich erst mal gar nichts ändern.
    Ich überlege, Callum anzurufen, aber eigentlich will ich mit niemandem reden. In einem der kleinen Programmkinos läuft gerade eine Retrospektive. Mit einem halben Dutzend anderen Leute schaue ich hintereinander Alain Resnais’
Muriel
und
Hiroshima, mon amour
. Danach gehen die Lichter wieder an, und ich kehre zurück in eine Welt, die so viel lebloser wirkt als die Welten in Schwarz-Weiß, aus denen ich gerade wieder aufgetaucht bin.
    Draußen regnet es, und in den Bussen drängen sich die Pendler. Als ich heimkomme, ist die Wohnung dunkel. Ich schalte die Lichter ein. Chloe sitzt auf dem Fußboden, und um sie herum liegen die zerfetzten Leinwände ihrer Kunst. Sie hat die Tuben mit den Ölfarben ausgedrückt und weggeworfen und überall wie im Rausch einen Regenbogen aus Farbe verschmiert. Die Staffelei mit dem unvollendeten Porträt darauf hat sie umgeworfen und ist dann offensichtlich auf dem Gemälde herumgetrampelt.
    Chloe erkennt mich nicht. Ihr Gesicht ist von der Farbe verschmiert, wo sie gedankenlos mit den Händen darübergefahren ist. Ich bahne mir behutsam einen Weg zwischen den verstreuten Leinwänden hindurch zu ihr und ziehe sie an mich. Sie leistet keinen Widerstand.
    «Es kommt alles wieder in Ordnung», verspreche ich ihr automatisch.
    «Ja», sagt sie. Ihre Stimme ist das Einzige in diesem bunten Zimmer, das ohne jede Farbe ist. «Natürlich.»

KAPITEL  6
    Das Gerüst quietscht und schwankt wie ein alter Kahn. Ich klettere die Leiter hoch, eine Sprosse nach der anderen, und stütze mein Knie auf die hölzernen Sprossen, statt den verletzten Fuß zu belasten. Es geht kaum schwerer als bei der Treppe hinauf zum Dachboden. Oben überprüfe ich erst die wacklige Plattform, ehe ich behutsam einen Fuß daraufsetze und dabei die horizontalen Streben vom Gerüst umfasst halte.
    Das Gerüst fühlt sich schwindelerregend hoch an. Und der Blick von hier oben ist noch besser als aus dem Dachbodenfenster. Ich bleibe stehen und schöpfe Luft. Ich sehe den See hinter dem Wald und ringsherum die Felder und Hügel. Das macht mir mehr als alles andere bewusst, wie abgelegen der Hof ist. Ich verschwende ein paar Minuten einfach nur damit, diesen Umstand zu genießen. Dann drehe ich mich um und nehme in Augenschein, worauf ich mich eingelassen habe.
    Etwa die Hälfte der Fassade an der Vorderseite und den beiden Schmalseiten des Hauses ist eingerüstet. Jemand hat den Mörtel zwischen den Steinen herausgehackt, und einige sind sogar ganz herausgenommen und auf den Bohlen abgelegt worden. Ein Vorschlaghammer und ein Meißel liegen daneben. Beide sind schon rostig, der Hammer ist schwer wie ein Ziegelstein und der Griff vom Alter und dem Gebrauch ganz glatt. Der Meißel ist wie ein Messer geformt und hat kein flaches Blatt wie der andere, der unten auf dem Pflaster liegt. Als ich mit ihm an der Wand kratze, fällt der Mörtel mir

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