Der Hof (German Edition)
ihm, wenn man bedenkt, wie viel hier noch zu tun ist, überlege ich.
Hinter dem Haus bricht ein Tumult los. Ich humple zum Ende des Gerüsts und schaue auf den Küchengarten hinunter. Gerade Reihen mit Gemüse und aus Rohrstock errichtete Tipis für die Bohnenranken bilden eine Oase der Ordnung. Dahinter gibt es eine eingezäunte Wiese mit Obstbäumen und einem Hühnerhaus.
Mathilde füttert die Hühner. Ich beobachte, wie sie Hände voll Getreide für das Federvieh wirft, das sich gackernd darum zankt. Sie stellt den leeren Eimer ab. Da sie sich unbeobachtet fühlt, ist sie nicht auf der Hut wie sonst, und ich sehe, wie müde und traurig sie aussieht. Sie geht zu einer Ecke des Gartens, wo etwas versteckt ein kleines Blumenbeet liegt. Ein heller Farbtupfer inmitten der eher praktischen Gemüsebeete. Leise Töne dringen bis zu mir herauf. Sie summt vor sich hin. Eine bedächtige, hübsche Melodie, die ich nicht kenne.
Leise ziehe ich mich zurück. An der Vorderseite des Hauses blendet mich die Sonne. Zu dieser Tageszeit gibt es keinen Schatten auf dem Gerüst, und meine Haut beginnt schon zu prickeln, wo sie ungeschützt der Sonne ausgesetzt ist. Ich schaue auf die Uhr. Nach Mittag. Wenn ich noch länger hier oben bleibe, werde ich vermutlich langsam geröstet. Die Metallstreben des Gerüsts brennen unter meinen Händen, als ich mich auf die Leiter runterlasse und mich langsam an den Abstieg mache. Als ich das untere Ende erreiche, kommt Mathilde um die Hausecke und wischt sich die Hände an einem Tuch sauber.
«Du hast dir die Sache angeschaut?», fragt sie. Die Traurigkeit, die ich vorhin im Garten gesehen habe, ist verschwunden und hat der üblichen Ruhe Platz gemacht. «Was denkst du?»
«Tja, also … das ist mehr Arbeit, als ich dachte.»
Mathilde schaut zu dem Gerüst hoch und beschattet die Augen vor der Sonne wie Gretchen vorhin. Ihre Haare sind in der Sonne gar nicht so viel dunkler als die ihrer Schwester. Es wirkt vielmehr so, als werde das Licht davon absorbiert.
«Du musst nicht sofort anfangen. Nicht, solange du dich nicht in der Lage dazu fühlst.»
Ich mache mir weniger um meine Gesundheit Sorgen. Zwar ist es nicht leicht, das Gewicht da oben nicht auf den verletzten Fuß zu verlagern, und nach der Kletterpartie hat er wieder begonnen zu pochen. Aber arbeiten ist allemal besser, als weiter untätig herumzusitzen.
«Ich zeige dir, wo alles ist.»
Sie geht zu der Tür, an der Arnaud mich vor ein paar Tagen erwischt hat. Die Angeln der verzogenen Tür quietschen, als sie sie öffnet und Licht in einen Raum lässt, der sich als eine kleine, fensterlose Vorratskammer erweist. Eine Welle kalte, feuchte Luft kommt uns entgegen, und nachdem sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben, erkenne ich das Durcheinander aus Werkzeug, Sandsäcken und Zementsäcken. Wie dem Gerüst haftet dem Raum etwas von einem Geisterschiff an. Ich muss an die Mary Celeste denken. Eine Spur aus Zementstaub ist aus einem Papiersack gerieselt, in dem immer noch eine Schaufel aufragt, während eine Kelle aus einem Berg aus steinhartem Mörtel ragt wie das Excalibur des Bauarbeiters. Nach den Spinnweben zu urteilen, die überall hängen, hat seit Monaten niemand mehr diese gespenstische Ruhe gestört.
Die Türangeln stöhnen, als die Tür hinter uns wieder zuschwingt und alles Licht aussperrt. Ich drehe mich um, weil ich die Tür aufhalten will, und mache überrascht einen Satz, weil ich jemanden dahinter stehen sehe. Aber es ist nur ein alter Overall, der an einem Nagel hängt. Wenigstens hat Mathilde nicht bemerkt, wie nervös ich bin. Sie steht neben der Tür, als widerstrebe es ihr, nur einen Schritt weiterzugehen.
«Hier sollte eigentlich alles sein, was du brauchst.»
Ich schaue mich in dem Durcheinander in der Kammer um. «Hat dein Vater schon mit der Arbeit angefangen?»
«Nein. Ein Mann aus der Gegend.»
Ich versetze dem Griff der Kelle, die tief in dem harten Mörtel steckt, einen Stups. Sie vibriert wie eine Stimmgabel.
«Warum hat er die Arbeit nicht vollendet?»
«Es kam zu einer Meinungsverschiedenheit.»
Mehr sagt sie dazu nicht. Ich untersuche den Zement. Feuchtigkeit hat das graue Puder aus dem aufgerissenen Sack zusammenklumpen lassen. Als ich gegen die versiegelten Säcke stoße, sind sie steinhart.
«Ich werde Zement brauchen. Die Feuchtigkeit hat den hier verdorben.»
Mathilde hat die Arme fest um ihren Oberkörper geschlungen. «Brauchst du ihn jetzt schon? Kannst du nicht vorher etwas
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