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Der Hof (German Edition)

Der Hof (German Edition)

Titel: Der Hof (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Beckett
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Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als mich wieder auf die Matratze werfen und eine weitere Stunde schlafen zu dürfen, ziehe aber gehorsam den Overall an und gehe nach unten. Am Wasserhahn mache ich kurz halt und trinke durstig, ehe ich mir Wasser auf Gesicht und Hals klatsche. Tropfen haften an meinem Bart, und die Kälte lindert meine Kopfschmerzen zumindest vorübergehend.
    Arnaud wartet draußen mit Lulu und hat sich einen geräumigen Leinenrucksack über die Schulter geschwungen. Er trägt das aufgeklappte Gewehr über dem Arm. Sein Gesicht hat die Blässe eines verkaterten Mannes, und die weißen Bartstoppeln wirken auf dem gebräunten Gesicht wie erster Frost. Er funkelt mich wütend an.
    «Ich habe Ihnen doch gesagt, Sie sollen früh fertig sein.»
    «Ich wusste ja nicht, dass Sie damit bei Tagesanbruch meinen. Was ist mit Frühstück?»
    «Was soll damit sein?» Er marschiert bereits über den Hof. Lulu tänzelt um mich herum, als wäre ich ein lange vermisster Freund, und ich folge Arnaud. Ich rechne eigentlich damit, er werde dem Feldweg Richtung Straße folgen, aber stattdessen verschwindet er neben dem Stallgebäude. Ich hatte gemeint, mich auf dem Hof schon gut auszukennen, aber dort ist ein Pfad, von dem ich bisher nichts wusste. Ich frage mich unwillkürlich, was da wohl noch ist, das ich nicht weiß über dieses Gelände.
    Ich trotte unter dem Gezeter der Vögel, das klar in der kalten Luft hängt, hinter ihm her. Ich wünschte, ich hätte mir ein T-Shirt unter dem Overall angezogen, und reibe fröstelnd meine Arme. Dabei berühre ich auch das Pflaster am Oberarm. Der Morgen fühlt sich sofort kälter an, weil ich an Gretchens Amnesie von vergangener Nacht denke. Irgendwie ist das sogar noch verstörender als der ursprüngliche Angriff mit der Gabel. Es konnte auch nur gespielt gewesen sein; Gott weiß, ihr ist so eine Schauspielerei durchaus zuzutrauen. Aber es passierte ja nicht zum ersten Mal. Nachdem sie mein Foto angezündet hatte, erwähnte sie danach nie auch nur mit einem Wort, was passiert ist. Anfangs dachte ich noch, sie hätte einfach etwas abgespeichert, das ihr angenehmer ist, und so eine Erinnerung ignoriert, die ihr wohl nicht behagte.
    Jetzt frage ich mich langsam, ob mehr dahintersteckt.
    Der Weg führt uns tief in den Wald oberhalb des Hauses, der als Puffer zwischen dem Hof und dem Rest der Welt dient. Ich versuche, nicht länger über Gretchen nachzudenken, und konzentriere mich lieber darauf, nicht über irgendwelche Baumwurzeln zu stolpern. Vor mir ist Arnauds steifer, mit horizontalen Linien überzogener Nacken. Er hat das Gewehr lässig über den Arm gelegt, und erst jetzt frage ich mich, ob es eine gute Idee war, mit ihm in den einsamen Wald zu gehen. Ich weiß nicht, was Gretchen ihm erzählt hat. Ein Schuss bliebe in dieser Einsamkeit vermutlich unbemerkt, und ein Leichnam könnte bis in alle Ewigkeit unentdeckt zwischen den Baumwurzeln liegen.
    Ich schüttle diese morbiden Gedanken ab. Wenn Arnaud eines ist, dann direkt. Wenn er mir also irgendwie schaden wollte, wüsste ist das inzwischen. Außerdem würde er mich nur aus meinem Elend erlösen, angesichts dessen, wie übel die Kopfschmerzen mich heute plagen.
    Im Wald herrscht ein merkwürdiges Schweigen; eine schmerzliche Stille, durch die jedes Geräusch noch verstärkt wird. Etwas raschelt wenige Meter neben uns. Lulu geht hoch und schießt hinterher, bis Arnaud sie mit einem scharfen Wort zurückruft. Der Hund schleicht widerstrebend zu ihm hin und wirft noch so manchen bedauernden Blick zurück.
    Als der Weg einen Knick macht, verlässt Arnaud ihn und verschwindet zwischen den Bäumen. Auf dem Gras glitzert Tau, und mein Overall wird dunkel und feucht, wo ich die Halme streife. Lulu beginnt vorauszulaufen, aber Arnaud ruft sie wieder zurück und hält sie am Halsband, um sie hinter sich zu halten.
    «Fürchten Sie nicht, sie könnte in ein Fangeisen treten?», frage ich.
    «Ich lasse sie ja nicht mal in die Nähe.»
    «Was passiert, wenn sie allein in den Wald läuft?»
    «Dann wäre das ihre eigene Schuld.» Er mustert prüfend den Boden vor sich. «Hier.»
    Im Gras versteckt liegt ein Gegenstand mit harten Kanten. Die Bügel des Tellereisens stehen noch offen, in der Mitte ist ein quadratischer Freiraum. Arnaud hebt einen toten Ast vom Boden auf und stößt ihn in die Falle. Die Bügel schnappen zu und zersplittern das Holz. Er lässt den Leinenrucksack von der Schulter gleiten und zieht etwas heraus, das

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