Der Hof (German Edition)
es weh tut. Jules lächelt mich nur an. Seine Pupillen sind winzig klein wie Stecknadelköpfe. Ich sage mir, dass er für mich keine Bedeutung hat. Er soll einfach sagen, was er will, und dann verschwinden. Aber auf seine nächsten Worte bin ich nicht vorbereitet.
«Ich werde Chloe erzählen, dass ich Sie getroffen habe.» Er hebt die Augenbrauen. «Sie wussten doch, dass sie wieder bei mir ist, oder?»
Nein, das wusste ich nicht. Ich habe Chloe nicht mehr gesehen, seit ich ausgezogen bin. Ich hatte darüber nachgedacht, ihr anzubieten, bis nach der Abtreibung zu bleiben, tat es aber dann doch nicht. Was immer Chloe mit ihrem Leben anstellte, ging mich jetzt nichts mehr an, das hatte sie mir sehr deutlich gemacht. Ich sagte mir, ein klarer Schnitt sei für uns beide das Beste.
Aber ich hatte keine Ahnung, dass sie zu Jules zurückgegangen war. Soweit ich wusste, war die Abtreibung allein ihre Entscheidung gewesen, und deshalb war ich davon ausgegangen, sie hätte sich mit ihm auch überworfen. Meine Gefühle muss er mir deutlich ansehen können.
«Warum sollte Sie das auch kümmern? Sie haben sie schließlich verlassen, oder?»
Meine Fingerknöchel treten weiß hervor, weil ich die Hand um das Glas krampfe. Doch dann taucht Lenny auf. Auch wenn Jules ziemlich groß ist, überragt der andere Mann ihn.
«Kommst du?»
«Ich wollte nur einem alten Freund von Chloe hallo sagen. Du erinnerst dich doch an Sean?»
Lenny wirft mir einen desinteressierten Blick zu. Bevor er etwas erwidern kann, drängt sich ein elegant gekleideter Mann mit einer Frau an die Bar. Er macht mir ein Zeichen. «Ich möchte ein Glas Chablis und …»
«Wir unterhalten uns hier gerade», sagt Lenny, ohne sich umzudrehen.
«Ich würde aber gerne bedient werden, also …»
Er verstummt, als Lenny den Kopf dreht und ihn anstarrt. Obwohl der Gesichtsausdruck des großen Mannes sich nicht ändert, ist die Atmosphäre plötzlich geladen.
«Verpiss dich.»
Der Kunde beginnt zu drohen, aber eher halbherzig. Er lässt sich von der Frau wegführen. Lenny wendet sich wieder an Jules, als wäre ich gar nicht da.
«Beeil dich.»
Es ist eher ein Befehl als eine Bitte. Jules wird rot, während der andere Mann wieder zu den beiden betrunkenen Mädchen geht.
«Das Geschäft ruft.» Er lächelt hart und versucht, das Gesicht zu wahren. «Ich erzähle Chloe, dass ich Sie getroffen habe. Sie wird sich freuen.»
Ich bleibe einfach stehen, bis er endlich gegangen ist. Ein Mann wedelt mit der Kreditkarte in meine Richtung.
«Hey, Sie! Bedienen Sie hier auch, oder stehen Sie nur rum?»
Ich drehe mich um und gehe in die Küche. Sergei sagt irgendwas zu mir, aber ich höre nicht zu. Durch den Notausgang verlasse ich die Küche und trete auf die dunkle Gasse hinter der Bar. Der süßliche Geruch nach Abfall und Urin beißt mir in die Nase.
Ich lasse die Tür hinter mir ins Schloss fallen, lehne mit dem Rücken zur Wand den Kopf gegen die Steine und schließe die Augen.
KAPITEL 15
«Sind Sie da oben schon wach?»
Die Worte sind wie eine Leine, die mich ins Wachsein zieht. Ich schlage die Augen auf und weiß weder, wer mich da ruft, noch, ob ich das nur geträumt habe. Das Hämmern gegen die Falltür überzeugt mich, dass ich es jedenfalls nicht geträumt habe.
«Kommen Sie schon! Aufwachen, Sie fauler Scheißkerl!»
Es ist Arnaud. Mein erster Gedanke gilt Gretchen. Ich schieße im Bett hoch und bin fast überzeugt, sie noch auf dem Dachboden vorzufinden. Gott sei Dank, ich bin allein. Die Kommode steht auf der Falltür, wo ich sie gestern Nacht hingeschoben habe. Vielleicht des Guten zu viel, um ein achtzehnjähriges Mädchen fernzuhalten, aber genauso effektiv gegen ihren Vater. Panik wallt in mir auf, und für einen Augenblick bin ich überzeugt, er müsse wissen, dass seine Tochter hier oben war, aber dann fällt mir wieder ein, dass ich ihm ja mit den Fallen helfen sollte.
«Alles in Ordnung!», rufe ich. Mein Kopf hämmert von dem derben Wein und Arnauds Cognac, und diese rüde Art, mich zu wecken, hilft auch nicht gerade.
«Das wird verdammt noch mal Zeit!» Ich höre, wie die Holzstufen unter seinem Gewicht knarzen. «Los, Beeilung! Bewegen Sie Ihren Arsch nach unten!»
«Geben Sie mir nur fünf Minuten.»
«Ich gebe Ihnen zwei!»
Seine Schritte entfernen sich dröhnend von der Falltür. Ich stöhne auf und lasse den Kopf sinken. Es kann nicht weit nach Sonnenaufgang sein. Das graue Licht des frühen Morgens strömt auf den Dachboden.
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