Der Hof (German Edition)
einen harten Blick, der ihn von den anderen Gästen im Zed unterscheidet. Als ich ihm das Bier zapfe, schaut er erst zur Tür und dann auf seine Uhr.
Das ist der Moment, als ich ihn erkenne.
Ich halte den Kopf gesenkt, als ich ihm das Wechselgeld gebe. Er kehrt an seinen Tisch zurück, und während ich andere Kunden bediene, behalte ich ihn im Auge. Er erwartet offensichtlich jemanden, und es gefällt ihm nicht, dass man ihn warten lässt.
Es könnte wirklich jeder sein. Aber ich weiß mit einer Sicherheit, die fast schwindelerregend ist, auf wen er wartet.
Ich bringe gerade Eis aus der Küche, als Jules eintrifft. Er ist mit zwei grell geschminkten, attraktiven Mädchen gekommen, die betrunken wanken und lachen, als sie den Tisch ansteuern, an dem Lenny sitzt. Sein Anblick lässt mich abrupt stehen bleiben. Ich spüre atemlos, wie eine Vielzahl Gefühle mich überschwemmt, Wut, Hass und Abscheu, alles auf einmal. Dann drehe ich mich um und gehe zurück in die Küche.
«Scheiße, Sean! Pass doch auf, wo du hingehst», knurrt Sergei, als ich mit ihm zusammenstoße, und versucht, nichts von seinem Tablett zu verschütten.
«Tut mir leid.» Hastig mache ich einen Schritt zur Seite. «Ähm, wäre das okay, wenn ich gerade mal Pause von der Bar mache? Ich könnte Geschirr waschen oder so was.»
«Du machst wohl Witze! Vielleicht möchtest du auch lieber die Füße hochlegen, während ich dir einen Kaffee bringe?» Immer noch grollend, stößt er mit der Hüfte die Tür auf und verschwindet in der Bar.
«Scheiße», sage ich. Die Tür schwingt hinter ihm zu.
«Probleme?» Dee hat Oliven auf Tellerchen verteilt und schaut jetzt auf.
«Nein, ist schon in Ordnung.»
Ich schaffe es irgendwie zu lächeln, bis sie sich abwendet. Dann sinke ich mit dem Rücken gegen die Wand. Jez hat mir von dem Fitnessstudio erzählt, das Jules in den Docklands betreibt, doch nach der Trennung habe ich das alles vergessen. Ich war so sehr darum bemüht, von unseren alten Stätten in Westlondon wegzukommen, dass mir nie der Gedanke gekommen war, ich könnte in seinem Territorium arbeiten.
Jetzt ist es zu spät.
Ich atme tief durch und gehe wieder nach draußen. Es ist viel los, und eine Weile sieht es so aus, als käme ich damit durch. Einmal sehe ich Lenny wieder an der Bar, aber dieses Mal bedient Dee ihn. Er schenkt mir nicht mehr Aufmerksamkeit als vorhin, und ich gebe mich der Hoffnung hin, dass sie vielleicht einfach austrinken und wieder verschwinden, ohne dass Jules mich bemerkt.
Es passiert, als sie gehen wollen. Durch eine Lücke im Gedränge blicke ich quer durch den Raum und sehe, wie die vier von ihrem Tisch aufstehen. Und in genau diesem Moment, als hätte ich ihm etwas zugerufen, dreht Jules sich um und entdeckt mich.
Ich schaue weg und bediene einen anderen Kunden. Zugleich versuche ich, mich so zu verhalten, als wäre nichts passiert. Aber als ich ein Glas vom Regal nehme, stoße ich zwei weitere herunter, die auf dem Boden zerschellen.
«Scheiße!»
Ich habe laut geflucht, und das bringt mir einen strengen Blick von Sergei ein. Für einen Moment verstummt der Lärm im Raum, wie es immer passiert, wenn ein Glas zerbricht. Dann werden die Gespräche fortgesetzt. Vom anderen Ende der Bar wirft Sergei mir einen verzweifelten Blick zu. Ich hole unter der Bar die Kehrschaufel hervor und hocke mich hin, um die Scherben aufzufegen. Irgendwie bin ich erleichtert, für den Moment außer Sicht zu sein.
Als ich mich aufrichte, lehnt Jules an der Bar.
Ich ignoriere ihn und leere die Kehrschaufel in den Mülleimer und serviere weiter Drinks. Die ganze Zeit spüre ich, wie er mich beobachtet. Schon bald ist an meinem Ende der Bar niemand übrig außer Jules. Ich kann also nicht länger so tun, als würde ich ihn nicht bemerken.
Ich blicke ihn über den Stahl der Bar hinweg an. Er sieht sportlich und gebräunt aus, obwohl ich dunkle Ringe unter den Augen entdecke, als er den Kopf unter der Barbeleuchtung dreht. Vielleicht Blutergüsse. Aber er hat wieder dieses halbe Lächeln aufgesetzt, an das ich mich noch allzu gut erinnere.
«Die Lehrtätigkeit haben Sie wohl aufgegeben?» Er schaut sich gespielt interessiert um. «Nettes Publikum hier. Zahlen die anständiges Trinkgeld?»
«Was wollen Sie?»
«Ach, kommen Sie. Sie können das doch besser. Sollten Sie nicht erst fragen, was ich trinken möchte? ‹Entschuldigen Sie, Sir, was darf ich Ihnen bringen?› So was in der Art?»
Ich beiße die Zähne so fest zusammen, dass
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