Der Holcroft-Vertrag - Ludlum, R: Holcroft-Vertrag
- an so etwas Naheliegendes denken die meisten Leute nur immer nicht. Die Beaumonts waren allem Anschein nach eine englische Familie, die einfach eines Tages, kurz nach dem Krieg, in Schottland auftauchte, ein paar Jahre dort blieb, und dann wieder verschwand.«
»Könnte es nicht sein, daß sie gestorben sind?«
»Nicht nach den Akten. Die Marine sorgt immer dafür, daß sie auf dem letzten Stand sind, falls es zu einer Verwundung oder einem Todesfall kommt. Dort waren sie immer noch als in Dunheath wohnhaft eingetragen. Aber sie waren weggezogen. Und bei der Post hatten sie auch nichts hinterlassen. «
Holcroft runzelte die Stirn. »Das klingt verrückt.«
»Da ist noch etwas.« Helden saß jetzt aufrecht im Sessel. »Bei Gretchens Hochzeit war auch ein Offizier von Beaumonts Schiff. Der Mann war ein oder zwei Jahre jünger als Beaumont und offensichtlich sein Untergebener. Aber da
war eine Beziehung zwischen ihnen, die über Freundschaft hinausging, über das normale Verhalten von Offizieren untereinander. «
»Was meinst du mit >Beziehung«
»Es war, als dächten sie immer genau dasselbe. Der eine fing einen Satz an, und der andere führte ihn zu Ende. Der eine drehte sich in eine bestimmte Richtung, und der andere machte eine Bemerkung über das, was der eine ansah. Weißt du, was ich meine? Hast du noch nie solche Leute gesehen? Solche Männer?«
»Sicher. Brüder, die sich sehr nahestehen. Oder Liebespaare. Und häufig auch Leute beim Militär, die lange Zeit zusammen Dienst getan haben. Was hast du unternommen?«
»Ich habe Nachforschungen über diesen Mann angestellt. Ich zapfte dieselben Quellen an, schickte dieselben Anfragen los wie bei Beaumont. Was zurückkam, war außergewöhnlich. Alles war ganz ähnlich; nur die Namen waren verschieden. Ihre akademischen und militärischen Akten waren fast identisch, in jeder Hinsicht hervorragend. Sie kamen beide aus obskuren Kleinstädten, Söhne von Eltern aus kleinen Verhältnissen, ganz bestimmt nicht wohlhabend. Und doch war jeder von ihnen auf eine große Universität gegangen, ohne finanzielle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Und beide waren Offizier geworden, ohne daß es früher irgendwelche Anzeichen gegeben hatte, daß sie auf eine militärische Laufbahn losgingen.«
»Wie steht es mit der Familie von Beaumonts Freund? Hast du die ausfindig gemacht?«
»Nein. Es hieß, sie lebten in einer Bergwerksstadt in Wales, aber das stimmte nicht. Sie waren seit Jahren nicht mehr dort, und niemand wußte was über sie.»
Was Helden in Erfahrung gebracht hatte, stand im Einklang mit Noels Theorie, daß Anthony Beaumont ein ODESSA-Agent war. Jetzt war es wichtig, Beaumont – und irgendwelche ›Kollegen‹ – auszuschalten. Es mußte sichergestellt werden, daß sie dem Genfer Unternehmen nicht mehr gefährlich wurden. Vielleicht hatten er und Helden unrecht, und sie sollten an Payton-Jones herantreten und das Problem Beaumont ihm überlassen. Aber es gab da auch noch anderes zu
erwägen, etwa die Gefahr, daß der britische Geheimdienst die Akte Peter Baldwin noch einmal in Angriff nahm und sich um den Code Wolfsschanze kümmerte.
»Was du mir erzählt hast, paßt zu dem, was ich mir überlegt habe«, sagte Noel. »Sehen wir uns nun noch einmal deinen Bruder an. Ich habe da eine Idee, was in Rio geschehen ist. Willst du jetzt darüber reden?«
Heldens Augen weiteten sich. »Ich weiß nicht, was du meinst. «
»Dein Bruder hat in Rio etwas erfahren, nicht wahr? Er hat etwas über Graff und die brasilianische ODESSA herausgebracht. Deshalb hat man ihn gejagt, deshalb mußte er das Land verlassen. Es war gar nicht wegen deiner Mutter und auch nicht wegen der Geschäfte deines Bruders. Es ging um Graff und die ODESSA.«
Helden atmete langsam aus. »Davon hab’ ich nie was gehört, glaub mir.«
»Was war es dann? Du mußt es mir sagen, Helden.«
Ihre Augen flehten ihn an. »Bitte, Noel. Ich schulde dir so viel; zwing mich nicht, meine Schuld so zu bezahlen. Was Johann in Rio passierte, hat nichts mit dir zu tun und auch mit Genf nicht.«
»Das weißt du nicht. Und ich weiß es auch nicht. Ich weiß nur, daß du es mir sagen mußt. Ich muß vorbereitet sein. Es gibt so viel, was ich nicht begreife. Er griff nach ihrer Hand. »Hör mir zu. Heute nachmittag bin ich in das Zimmer eines Blinden eingebrochen. Ich habe die Tür eingetreten; es war ein schreckliches Geräusch, plötzlich und laut. Er war ein alter Mann, und er konnte mich ja nicht sehen. Er
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