Der Holcroft-Vertrag - Ludlum, R: Holcroft-Vertrag
unsere Eltern uns sagten. Diejenigen von uns, die noch Eltern hatten.«
»Was haben die Eltern ihnen denn gesagt?«
»Daß ich eine von Tiebolt sei. Das kleine Mädchen mit dem albernen Vornamen. Meine Mutter war ... nun, eben meine Mutter. Ich glaube, die dachten, daß dieser Makel ansteckend sei.«
Vielleicht hatte man ihr tatsächlich ein Schandmal eingebrannt,
dachte Noel, aber nicht wegen ihrer Mutter. Maurice Graffs ODESSA Wichtigeres im Auge. Millionen und Abermillionen, die man aus ihrem geliebten Reich hinausgeschleust hatte, damit Verräter wie von Tiebolt sie einsetzen konnten, um Sühne zu leisten.
»Als du dann größer warst, ist es besser geworden, nicht wahr?«
»Besser? Sicher. Man paßt sich an, man reift, man versteht Einstellungen und Handlungen, die man als Kind nicht verstanden hat. «
»Mehr Freunde?«
»Engere Freunde vielleicht, aber nicht unbedingt mehr. Ich konnte mich schlecht unter die Leute mischen. Ich war daran gewöhnt, allein zu sein; ich begriff, weshalb man mich nicht zu Partys und Dinners einlud. Zumindest nicht in die sogenannten respektablen Häuser. Die Jahre beeinträchtigten die gesellschaftlichen Aktivitäten meiner Mutter - wollen wir sagen -, aber nicht ihre geschäftlichen Interessen. Sie war ein Hai; wir wurden von unseresgleichen gemieden. Und der Rest von Rio hat die Deutschen ohnehin nie richtig akzeptiert, nicht in jenen Jahren.«
»Warum nicht? Der Krieg war doch vorbei.«
»Aber nicht die Ärgernisse. Die Deutschen erregten damals vielerlei Ärgernis. Illegale Gelder, Kriegsverbrecher, israelische Spürhunde... jahrelang ging das so.«
»Du bist eine so schöne Frau, es fällt schwer, sich vorzustellen, daß du... daß du ganz für dich sein solltest.«
Helden richtete sich auf und sah ihn an. Sie lächelte und schob mit der rechten Hand ihr Haar zurück, hielt es an ihren Hals. »Ich sah damals sehr streng aus, Darling. Glattes Haar, zu einem Knoten gebunden, eine riesige Brille, und Kleider, die immer eine Nummer zu groß waren. Du hättest kein zweites Mal hingesehen ... Glaubst du mir nicht?«
»Daran habe ich jetzt nicht gedacht.«
»Woran dann?«
»Du hast mich gerade >Darling< genannt.«
Sie hielt seinen Blick fest. »Ja, das habe ich, nicht wahr? Mir kam das ganz normal vor. Stört es dich?«
Er griff nach ihr, das war seine Antwort.
Sie lehnte sich im Sessel zurück; ihr Unterkleid diente ihr als Neglige. Sie nippte an dem Cognac. Noel saß neben ihr auf dem Boden, und bei ihm ersetzten Slip und ein offenes Hemd den Morgenmantel. Sie hielten sich an den Händen und sahen den Lichtern der Boote zu, die auf dem Fluß schimmerten.
Er wandte den Kopf und sah sie an. »Fühlst du dich jetzt besser?«
»Viel besser, Darling. Du bist ein sehr zärtlicher Mann. So wie dich habe ich nicht viele gekannt.«
»Erspare sie mir.«
»Oh, das meine ich nicht. Zu deiner Information, in der Organisation des Herrn Oberst nennt man mich >Fräulein Eiszapfen ‹.«
»Was bedeutet das?«
Sie erklärte es ihm. »Und im Verlag sind alle überzeugt, daß ich lesbisch bin.« «
»Die mußt du mir schicken.«
»Das würde ich lieber nicht.«
»Ich werde denen sagen, daß du es mit Peitschen und Fahrradketten treibst. Die sadistische Tour, weißt du. Dann rennen die davon, wenn sie dich zu Gesicht bekommen.«
»Das ist süß von dir.« Sie küßte ihn. »Du bist warm und zärtlich, und du lachst leicht. Ich mag dich schrecklich gern, Noel Holcroft, und ich bin gar nicht sicher, daß das so gut ist. «
»Warum?«
»Weil wir uns Lebewohl sagen werden und ich dann an dich denken werde.«
Noel griff nach oben und hielt die Hand, die immer noch sein Gesicht berührte; plötzlich war er beunruhigt. »Wir haben uns gerade erst begrüßt. Weshalb Lebewohl?«
»Es gibt Dinge, die du tun mußt, und Dinge, die ich tun muß.«
»Wir haben beide Zürich.«
»Du hast Zürich. Ich habe mein Leben in Paris.«
»Beides schließt sich nicht aus.«
»Das weißt du nicht, Darling. Du weißt gar nichts über mich. Nicht, wo ich lebe, noch wie ich lebe.«
»Ich weiß nur von einem kleinen Mädchen, das ein Zimmer
für sich allein hatte und sich zigmal das Zauberhafte Land angesehen hat.«
»Dann denk so lieb an sie wie sie an dich. Immer.«
Holcroft nahm ihre Hand von seinem Gesicht. »Was, zum Teufel, willst du damit sagen? Vielen Dank für einen netten Abend, und jetzt leb wohl?«
»Nein, Darling. Nicht so. Nicht jetzt.«
»Was meinst du dann ?«
»Ich weiß es
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