Der Holcroft-Vertrag - Ludlum, R: Holcroft-Vertrag
Mutter—übrigens eine außergewöhnliche Frau—einen Menschen brauchte. Aber um Holcroft geht es nicht. Ich meinte Ihren leiblichen Vater.«
»Natürlich. «
»Vor dreißig Jahren hat Heinrich Clausen gewisse Vorkehrungen getroffen. Er reiste häufig zwischen Berlin, Zürich und Genf hin und her, unter Umgehung der offiziellen Überprüfungen selbstverständlich. Ein Schriftstück wurde aufgesetzt, gegen das wir als...« — Manfredi hielt inne und lächelte — »... als voreingenommene Neutrale keine Einwände vorbringen konnten. Dem Schriftstück ist ein Brief beigefügt, den Clausen im April 1945 geschrieben hat. Er ist an Sie adressiert. An seinen Sohn.« Der Bankier griff nach einem dicken Umschlag, der auf dem Tisch lag.
»Einen Augenblick«, sagte Noel. »Betrafen diese gewissen Vorkehrungen Geld?«
»Ja.«
»Daran bin ich nicht interessiert. Übergeben Sie es gemeinnützigen Institutionen. Er war es der Allgemeinheit schuldig. «
»Wenn Sie den Betrag hören, denken Sie vielleicht anders. «
»Wieviel ist es?«
»Siebenhundertundachtzig Millionen Dollar.«
2.
Holcroft starrte den Bankier ungläubig an; alles Blut war ihm aus dem Gesicht gewichen. Draußen mischten sich die Geräusche des weitläufigen Bahnhofs zu einer Kakophonie von gedämpften Akkorden, die kaum die dicken Wände des Waggons durchdrangen.
»Versuchen Sie erst gar nicht, das alles auf einmal in sich aufzunehmen«, sagte Manfredi und legte den Brief beiseite. »Es gibt da gewisse Bedingungen, von denen übrigens keine unzumutbar ist. Zumindest keine, die uns bekannt ist.«
»Bedingungen... ?« Holcroft wußte, daß er kaum zu hören war; er gab sich Mühe, seine Stimme wiederzufinden. »Was für Bedingungen?«
»Die sind ganz klar und deutlich aufgeführt. Diese riesigen Beträge sollen zum Nutzen der Menschen überall verwendet werden. Und dann gibt es da natürlich auch gewisse Vorteile für Sie persönlich.«
»Was soll das heißen, keine der Bedingungen sei unzumutbar, die Ihnen >bekannt< ist?«
Die vergrößerten Augen des Bankiers blinzelten hinter seinen Brillengläsern; er wandte kurz den Blick ab, und sein Gesichtsausdruck wirkte einen Moment lang gequält. Dann griff er in seine braunlederne Aktentasche auf dem Tisch und entnahm ihr einen langen, dünnen Umschlag mit seltsamen Zeichen auf der Rückseite: eine Reihe von vier Kreisen — dort, wo das Kuvert zugeklebt war, schienen vier dunkle Münzen befestigt zu sein. Manfredi hielt den Umschlag über den Tisch, unter die Lampe. Die dunklen Kreise waren keine Münzen, sondern Siegel. Alle waren intakt.
»Gemäß den Instruktionen, die man uns vor dreißig Jahren erteilt hat, sollte dieser Umschlag — im Gegensatz zum Brief Ihres Vaters, den ich hier habe — nicht von den Direktoren in Genf geöffnet werden. Er hat nichts zu tun mit dem Schriftstück, das wir aufgesetzt haben, und Clausen hat nach unserem besten Wissen keine Ahnung davon gehabt. Was er Ihnen in seinem Brief sagt, dürfte das bestätigen. Der Umschlag ist uns wenige Stunden, nachdem der Kurier den Brief Ihres Vaters gebracht hatte, übergeben worden. Und dieser Brief sollte eigentlich unsere letzte Nachricht aus Berlin sein. «
»Was ist in dem Umschlag?«
»Das wissen wir nicht. Sein Inhalt soll von einigen Männern verfaßt worden sein, die von den Aktivitäten Ihres Herrn Vaters wußten. Männer, die mit Leib und Seele an seine Sache glaubten und die in ihm in mannigfacher Hinsicht einen Märtyrer Deutschlands sahen. Wir hatten Anweisung,
Ihnen den Umschlag mit unverletzten Siegeln zu übergeben. Sie sollten ihn vor dem Brief Ihres Vaters öffnen.« Manfredi reichte den Umschlag herüber. Auf der Vorderseite war ein Vermerk in deutscher Schrift. »Sie müssen hier unten unterschreiben, daß Sie den Umschlag in unversehrtem Zustand erhalten haben.«
Noel nahm den Umschlag entgegen und las die Worte, die er nicht verstand.
DIESER BRIEF IST MIR MIT UNVERSEHRTEN SIEGELN ÜBERGEBEN WORDEN. WIEDERAUFBAU ODER TOD.
»Was heißt das?«
»Daß Sie sich davon überzeugt haben, daß die Siegel nicht erbrochen worden sind.«
»Wie kann ich da sicher sein?«
»Junger Mann, Sie sprechen mit einem Direktor der Grande Banque de Genève.« Der Schweizer sprach, ohne die Stimme zu heben, aber die Zurechtweisung war deutlich. »Sie haben mein Wort. Und, davon abgesehen, welchen Unterschied macht es eigentlich?«
Keinen, überlegte Holcroft. Aber der springende Punkt beschäftigte ihn doch. »Wenn
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