Der Holcroft-Vertrag - Ludlum, R: Holcroft-Vertrag
ich unterschrieben habe, was machen Sie dann mit dem Umschlag?«
Manfredi schwieg einige Augenblicke, als überlege er, ob er antworten solle. Dann nahm er die Brille ab, holte ein seidenes Taschentuch aus der Brusttasche und reinigte die Gläser. Schließlich sagte er: »Es handelt sich hier um einen vertraulichen Vorgang...«
»Wenn ich jetzt unterschreibe«, unterbrach Noel, »ist das auch ein vertraulicher Vorgang.«
»Lassen Sie mich ausreden.« Der Bankier setzte sich die Brille wieder auf. »Ich wollte gerade sagen, daß es sich um eine vertrauliche Sache handelt, die unmöglich noch von Belang sein kann. Nicht nach so vielen Jahren. Der Umschlag soll an ein Schließfach in Sesimbra in Portugal geschickt werden. Das liegt südlich von Lissabon am Kap Espichel.«
»Warum ist die Sache jetzt nicht mehr von Belang?«
»Das Schließfach existiert nicht mehr. Der Umschlag wird
zunächst in die Abteilung für unzustellbare Briefe gebracht und schließlich wieder an uns zurückgeschickt werden.«
»Da sind Sie sicher?«
»Das glaube ich, ja.«
Noel griff in die Tasche nach seiner Füllfeder und drehte den Umschlag, um sich die Siegel noch einmal anzusehen. Sie waren in der Tat unversehrt; und, dachte Holcroft, welchen Unterschied machte es tatsächlich? Er legte den Umschlag vor sich und unterschrieb.
Manfredi hob die Hand. »Seien Sie versichert: nichts, was sich in diesem Umschlag befindet, kann etwas ändern an unserer Einstellung zu dem Schriftstück, das La Grande Banque de Genève aufgesetzt hat. Man hat uns weder konsultiert, noch über den Inhalt informiert.«
»Und doch scheinen Sie sich Sorgen zu machen. Ich dachte, es mache keinen Unterschied. Es sei doch so lange her.«
»Fanatiker beunruhigen mich immer, Mr. Holcroft. Da spielen die Umstände im einzelnen keine Rolle. Das ist die natürliche Vorsicht des Bankiers.«
Noel begann die Siegel aufzubrechen; der Siegellack hatte sich im Lauf der Jahre verhärtet, und er brauchte eine Weile, bis die Siegel in Stücken abfielen. Er riß den Umschlag auf, nahm das eine Blatt heraus, das er enthielt, und faltete es auseinander.
Die Jahre hatten das Papier brüchig gemacht, und das ursprüngliche Weiß war zu einem fahlen, bräunlichen Gelb verfärbt.
Das Blatt war in englischer Sprache und mit Blockbuchstaben beschrieben. Die Tinte war verblaßt, aber noch lesbar. Holcroft sah unten auf die Seite und suchte eine Unterschrift. Doch da war keine. Er begann zu lesen.
Es war eine makabre Botschaft, vor dreißig Jahren aus der Verzweiflung geboren. Es war so, als hätten fassungslose Männer in einem abgedunkelten Raum gesessen und Schatten an der Wand studiert, um daraus Zeichen für die Zukunft zu lesen, Zeichen, die einem Mann und einem Leben galten, die sich noch nicht geformt hatten.
VON DIESEM AUGENBLICK AN SOLL DER SOHN VON HEINRICH CLAUSEN
NICHT AUS DEN AUGEN GELASSEN WERDEN. Es IST DAMIT ZU RECHNEN, DASS EINIGE VOM GENFER UNTERNEHMEN ERFAHREN UND VERSUCHEN WERDEN, IHN ZU STOPPEN, UND DEREN LEBENSZIEL ES SEIN WIRD, IHN ZU TÖTEN UND DAMIT DEN TRAUM ZU ZERSTÖREN, DER VON DEM RIESEN ERDACHT WURDE, DER SEIN VATER WAR.
DIES DARF NICHT GESCHEHEN, DENN MAN HAT UNS BETROGEN-UNS ALLE - UND DIE WELT MUSS ERFAHREN, WAS WIR WIRKLICH WAREN, DENN DAS, ALS WAS DIE BETRÜGER UNS DARSTELLEN, WAREN DIE BILDER VON VERRÄTERN, NICHT WIR. UND GANZ BESONDERS NICHT HEINRICH CLAUSEN.
WIR SIND DIE ÜBERLEBENDEN DER WOLFSSCHANZE. WIR WÜNSCHEN, DASS UNSERE NAMEN REINGEWASCHEN WERDEN, WÜNSCHEN, DASS UNS DIE EHRE ZURÜCKGEGEBEN WERDE, DIE MAN UNS GESTOHLEN HAT. DESHALB WERDEN DIE MÄNNER DER WOLFSSCHANZE DEN SOHN SO LANGE BESCHÜTZEN, BIS DER SOHN DEN TRAUM DES VATERS ERFÜLLT UND UNS UNSERE EHRE ZURÜCKGIBT. SOLLTE ABER DER SOHN DEN TRAUM BEGRABEN, DEN VATER VERRATEN UND UNS UNSERE EHRE VORENTHALTEN, WIRD ER KEIN LEBEN MEHR HABEN. ER WIRD ZEUGE WERDEN DER ANGST DERER, DIE ER LIEBT, DER FAMILIE, DER KINDER, DER FREUNDE. NIEMAND WIRD VERSCHONT WERDEN.
NIEMAND DARF SICH EINMISCHEN. GIB UNS UNSERE EHRE. DAS IST UNSER RECHT, UND WIR FORDERN ES.
Noel schob den Stuhl zurück und stand auf. »Was, zum Teufel, soll das?«
»Ich habe keine Ahnung«, erwiderte Manfredi leise. Seine Stimme blieb ruhig dabei, aber seine großen, kalten blauen Augen ließen erkennen, wie unruhig er war. »Ich sagte Ihnen doch, man hat uns nie in Kenntnis gesetzt...«
»Nun, dann holen Sie sich diese Kenntnis!« schrie Holcroft. »Da, lesen Sie! Wer waren diese Clowns? Verrückte, reif
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