Der Holcroft-Vertrag - Ludlum, R: Holcroft-Vertrag
Rang; man konnte Gefälligkeiten von ihm erlangen. Aber meine Schwester stritt sich heftig mit meiner Mutter. Sie verachtete Beaumont und wollte nichts mit ihm zu tun haben. Und doch zogen wir nur wenige Jahre später nach England, und sie hat ihn geheiratet. Ich habe das nie begriffen.«
Noel beugte sich erleichtert vor. »Das ist vielleicht gar nicht so schwierig zu verstehen, wie Sie glauben. Sie hat mir gesagt, daß sie ihn wegen der Sicherheit geheiratet hat, die er ihr geben konnte.«
»Und Sie haben ihr geglaubt?«
»Ihr Verhalten schien mir das zu bestätigen, was sie sagte. «
»Dann kann ich nicht glauben, daß Sie meiner Schwester begegnet sind.«
»Sie sehen sich sehr ähnlich: Sie sind beide schön.«
»Jetzt bin ich mit Fragen an der Reihe. Bei dieser Schönheit - glauben Sie da wirklich, daß Sie sich mit dem Gehalt eines Marineoffiziers und dem eingeschränkten Leben der Frau eines Marineoffiziers zufriedengeben würde? Ich kann das nicht. Ich habe es nie geglaubt.«
»Was meinen Sie dann?«
»Ich glaube, daß man sie gezwungen hat, Anthony Beaumont zu heiraten.«
Noel lehnte sich im Stuhl zurück. Wenn sie recht hatte,
dann lag die Verbindung in Rio de Janeiro, bei ihrer Mutter vielleicht. Bei dem Mord an ihrer Mutter.
»Wie konnte Beaumont sie zwingen, ihn zu heiraten? Weshalb? «
»Beide Fragen habe auch ich mir hundertmal gestellt.«
»Haben Sie sie gefragt?«
»Sie lehnt es ab, mit mir zu sprechen.«
»Was geschah mit Ihrer Mutter in Rio?«
»Ich sagte es schon: sie hat Männer um ihres Geldes willen manipuliert. Die Deutschen verachteten sie, bezeichneten sie als unmoralisch. Und im Rückblick ist es schwer, dem zu widersprechen.«
»Ist sie deshalb erschossen worden?«
»Das nehme ich an. Niemand weiß es genau; man hat den Mörder nie gefunden.«
»Aber es könnte die Antwort auf die erste Frage sein, nicht wahr? Ist es nicht möglich, daß Beaumont etwas so Schwerwiegendes über Ihre Mutter wußte, daß er Ihre Schwester damit erpressen konnte?«
»Gibt es denn etwas, das so schwerwiegend sein könnte? Selbst wenn man alles, was über meine Mutter gesagt wurde, als die Wahrheit akzeptiert — weshalb sollte das irgendeine Auswirkung auf Gretchen haben?«
»Das hinge davon ab, was es war.«
»Aber ich kann mir das nicht vorstellen. Sie ist jetzt in England. Sie ist ihr eigener Herr, Tausende von Kilometern von Rio entfernt. Weshalb sollte sie so etwas betreffen?«
»Ich habe keine Ahnung.« Und dann erinnerte sich Noel. »Sie haben die Worte >Kinder der Hölle< gebraucht. ›Verdammt für das, was sie waren, und verdammt für das, was sie nicht waren.‹ Könnte das nicht auch für Ihre Schwester gelten?«
»Beaumont interessierte sich nicht für solche Dinge. Das ist eine völlig andere Angelegenheit.«
»Ist es das? Das wissen Sie doch nicht. Ihre Meinung ist, daß er sie gezwungen hat, ihn zu heiraten. Wenn es nicht so etwas ist, was denn dann?«
Helden wandte den Blick ab, diesmal tief in Gedanken, nicht weil sie log. »Etwas, das viel weniger lang zurückliegt.«
»Das Dokument in Genf?« fragte er. Manfredis Warnung klang ihm in den Ohren, das Gespenst der Wolfsschanze drängte sich ihm auf.
»Wie hat Gretchen reagiert, als Sie ihr von Genf berichtet haben?« fragte Helden.
»Als ob es nicht wichtig wäre.«
»Nun...?«
»Das könnte ein Ablenkungsmanöver gewesen sein. Sie gab sich zu lässig — so wie Sie zu lässig waren, als ich vor ein paar Minuten Beaumont erwähnte. Es könnte sein, daß sie es erwartet und sich darauf vorbereitet hatte.«
»Jetzt raten Sie.«
Das war der Augenblick, dachte Noel. Es würde in ihren Augen geschrieben stehen — der Rest der Wahrheit, von dem sie nicht sprechen wollte. Lief es auf Johann von Tiebolt hinaus?
»Ich würde es nicht raten nennen. Ihre Schwester sagte, ihr Bruder habe zu ihr gesagt, daß >eines Tages ein Mann kommt und von einer seltsamen Abmachung spricht<. Das waren ihre Worte.«
Wonach er auch suchte — nach einem Flackern des Erkennens, einem Blinzeln der Furcht -, es war nicht da. Da war etwas, aber nichts, worauf er sich einen Reim machen konnte. Sie sah ihn an, als versuchte sie selbst, das Gehörte zu begreifen. Und doch war in ihrem Blick eine tiefe Unschuld, und das war es, was er nicht begreifen konnte.
»>Eines Tages kommt ein Mann.< Das gibt keinen Sinn«, sagte sie.
»Erzählen Sie mir von Ihrem Bruder. «
Sie sagte einige Augenblicke lang nichts. Ihr Blick schweifte zu dem roten
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