Der Holcroft-Vertrag - Ludlum, R: Holcroft-Vertrag
Magen war eine einzige Leere, und glühender Schmerz schoß durch seine Brust. Kummer und Schrecken hielten ihn gepackt. Und Zorn. Das Telegramm lautete:
DEIN VATER VOR VIER TAGEN GESTORBEN STOP KANN DICH NICHT ERREICHEN STOP BITTE RUFE BEDFORD HILLS AN STOP
MUTTER
Da war noch ein zweites Telegramm von Lieutenant David Miles, New York, Polizeiabteilung der Flughafenbehörde.
DER KÜRZLICH ERFOLGTE TOD VON RICHARD HOLCROFT ERFORDERT DRINGEND DASS SIE SOFORT MIT MIR VERBINDUNG AUFNEHMEN STOP EMPFEHLE DRINGEND DASS SIE MIT MIR SPRECHEN, EHE SIE SONST JEMANDEN KONTAKTEN
Da waren dieselben zwei Telefonnummern, die Buonoventura ihm nach Rio durchgegeben hatte, und sechs — sechs — Erkundigungen, die mit Tag und Stunde registriert waren, seit das Telegramm im American-Express-Büro eingetroffen war. Miles hatte zweimal täglich nachgefragt, ob seine Mitteilung ihren Empfänger erreicht hatte.
Noel ging die Champs-Elysées hinauf, versuchte, seine Gedanken zu sammeln, versuchte, seinen Kummer unter Kontrolle zu bringen.
Der einzige Vater, den er je gekannt hatte. ›Dad‹... >mein Vater <, Richard Holcroft. Worte, die er stets voll Zuneigung, voll Liebe, voll unbeschwerter Heiterkeit ausgesprochen hatte,
denn Richard Holcroft war ein Mann mit vielen liebenswerten Eigenschaften, nicht zuletzt der Fähigkeit, über sich selbst lachen zu können. Er hatte seinem Sohn — Stiefsohn — nein, verdammt , seinem Sohn ! — mit Ratschlägen geholfen, sich aber nie eingemischt, nur wenn es gar nicht anders ging.
O Gott, er war tot !
Was den stechenden Schmerz verursachte — ein Schmerz, den er als Teil des Schreckens und des Zorns begriff —, war in Miles’ Telegramm enthalten. War er irgendwie für den Tod Richard Holcrofts verantwortlich? O Gott ! Gab es eine Beziehung zwischen seinem Tod und einem Röhrchen mit Strychnin, das jemand dreißigtausend Fuß über dem Atlantik in einen Drink gegossen hatte? Hing er irgendwie mit dem Gespinst von Genf zusammen?
Hatte er, irgendwie, den Vater, den er sein ganzes Leben lang kannte, für einen anderen Vater geopfert, den er nie gekannt hatte?
Er erreichte die Kreuzung Avenue George V. Auf der anderen Seite der von dichtem Verkehr erfüllten Straße sah er eine Tafel über Markisen, die sich über das ganze Cafe erstreckten: FOUQUET’S. Es war ihm nur zu vertraut. Zu seiner Linken war das Hotel George V. Vor einem Jahr hatte er kurz dort gewohnt, ein Geldprotz aus dem Hotelgewerbe hatte seinen Aufenthalt bezahlt. Der Mann hatte die Wahnvorstellung gehabt, die sich später auch als solche erwies, das Äußere des berühmten Baus in Kansas City nachzuempfinden.
Holcroft hatte sich damals mit dem stellvertretenden Direktor angefreundet. Wenn der Mann noch dort war, ließe er ihn vielleicht telefonieren. Wenn man die Anrufe tatsächlich zum George V. zurückverfolgte, wäre es nicht schwer, das herauszubekommen. Und noch viel einfacher, irreführende Informationen über seinen Aufenthaltsort zu hinterlassen.
Vorausschauen.
»Aber natürlich, mit größtem Vergnügen, Noel. Ich freue mich so, Sie wiederzusehen. Ich bin traurig, daß Sie nicht bei uns abgestiegen sind, aber bei unseren Preisen kann ich es Ihnen nicht verübeln. Hier, benutzen Sie mein Büro.«
»Ich nehme die Anrufe natürlich auf meine Kreditkarte.«
»Ich mache mir keine Sorgen, mein Freund. Später vielleicht einen apéritif?«
»Das wäre schön«, sagte Noel.
Es war zehn Uhr fünfundvierzig nach Pariser Zeit. Viertel vor sechs in New York. Wenn Miles seinen Anruf so dringend erwartete, wie sein Telegramm besagte, würde das nichts ausmachen. Er nahm den Hörer ab und meldete das Gespräch an.
Noel blickte noch einmal auf Miles’ Telegramm.
DER KÜRZLICH ERFOLGTE TOD VON RICHARD HOLCROFT
ERFORDERT DRINGEND DASS SIE SOFORT MIT MIR VERBINDUNG
AUFNEHMEN STOP EMPFEHLE DRINGEND DASS SIE
MIT MIR SPRECHEN EHE SIE SONST JEMANDEN KONTAKTEN ...
Die Empfehlung klang drohend; das >sonst jemanden< konnte nur seine Mutter angehen.
Er legte das Papier auf den Schreibtisch zurück und griff in die Tasche nach Althenes Telegramm.
DEIN VATER VOR VIER TAGEN...KANN DICH
NICHT ERREICHEN...
Die Gefühle der Niedergeschlagenheit, daß er nicht bei ihr gewesen war, bedrängten ihn kaum weniger als seine Schuld-und Angstgefühle, wenn er die Möglichkeit in Betracht zog, daß er für diesen Tod verantwortlich war. Möglichkeit? Er wußte es; er fühlte es.
Er fragte sich — von Schmerz erfüllt -, ob Miles Althene
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