Der Holcroft-Vertrag - Ludlum, R: Holcroft-Vertrag
— von Genf!
Und dann waren sie auch über die von Tiebolts informiert. Das würde erklären, was in Brasilien geschehen war. Es ging nie um die Mutter ; es ging um Johann von Tiebolt. Er war auf der Flucht vor Graffs ODESSA; der Bruder als Beschützer, der das, was von der Familie übriggeblieben war, rettete, der sich und seine zwei Schwestern aus Rio hinausschmuggelte.
Um zu überleben und den Vertrag in Genf zu erfüllen.
Eines Tages kommt ein Mann und spricht von einer seltsamen Abmachung ... Und in jener >seltsamen Abmachung< lagen das Geld und die Macht, die ODESSA und die RACHE — zu vernichten. Denn ohne Zweifel waren das wesentliche Ziele des Vertrages.
Noel begriff jetzt. Er und John Tennyson und ein Mann namens Kessler in Berlin hätten die Genfer Unternehmung in der Hand; sie würden die Agentur in Zürich leiten. Sie würden die ODESSA, wo immer sie war, vernichten; sie würden die RACHE auslöschen. Zu der Wiedergutmachung, die zu leisten war, gehörte auch, daß die Fanatiker zum Schweigen gebracht wurden.
Es drängte ihn, Helden anzurufen, ihr zu sagen, daß sie bald nicht mehr zu fliehen brauche — sie alle würden aufhören können zu fliehen — aufhören, sich zu verstecken, aufhören, in Angst zu leben. Es drängte ihn, ihr das zu sagen. Und es drängte ihn, sie wiederzusehen.
Aber er hatte ihr sein Wort gegeben, sie nicht bei Gallimard anzurufen, unter keinen Umständen den Versuch zu machen, sie zu erreichen. Es war zum Wahnsinnigwerden; sie war zum Wahnsinnigwerden, und doch durfte er sein Wort nicht brechen.
Das Telefon. Er mußte das Büro von American Express an den Champs-Elysées anrufen. Er hatte Sam Buonoventura gesagt, daß er sich dort nach Mitteilungen erkundigen werde.
Es war ganz einfach, sich telefonisch Mitteilungen durchgeben
zu lassen; er hatte das auch schon früher getan. Niemand brauchte zu wissen, wo er sich aufhielt. Er stellte die Kaffeetasse weg und ging ans Telefon, erinnerte sich plötzlich, daß er noch ein zweites Gespräch führen mußte. Mit seiner Mutter. Es war noch zu früh, sie jetzt in New York anzurufen; er würde das später tun.
»Tut mir leid, Monsieur«, sagte der Angestellte im Büro von American Express. »Sie müssen persönlich für die Telegramme quittieren. Es tut mir sehr leid.«
Telegramme! Noel legte den Hörer auf. Er war verärgert, aber nicht zornig. Es würde ihm guttun, das Hotelzimmer zu verlassen, das würde seine Gedanken von dem erwarteten Anruf Heldens ablenken.
Er ging die Rue Chevalle hinunter, und ein kalter Wind pfiff ihm ins Gesicht. Ein Taxi brachte ihn über den Fluß auf die Champs-Elysées. Die Luft und das warme Sonnenlicht wirkten belebend auf ihn; er kurbelte das Fenster herunter. Zum erstenmal seit Tagen fühlte er sich zuversichtlich; er wußte jetzt, wohin ihn sein Weg führte. Genf war nähergerückt. Die verschwommenen Umrisse, die Freund und Feind trennten, waren deutlicher geworden.
Was immer ihn im Büro von American Express erwartete, schien ihm belanglos. Es gab nichts in New York oder London, mit dem er nicht zu Rande kommen würde. Seine Hauptsorge galt jetzt Paris. Er und John Tennyson würden sich treffen, würden miteinander sprechen und Pläne machen, und der erste dieser Pläne wäre, nach Berlin zu reisen und dort Erich Kessler aufzusuchen. Sie wußten, wer ihre Feinde waren; es kam nur darauf an, diesen Feinden zu entwischen. Heldens Freunde würden ihnen behilflich sein können.
Als er aus dem Taxi stieg, blickte er auf die getönten Fenster des American-Express-Büros, und plötzlich kam ihm etwas in den Sinn. War es eine Falle, als man sich geweigert hatte, ihm die Mitteilungen am Telefon vorzulesen? Ein Mittel, das ihn zwingen sollte, sich zu zeigen? Wenn ja, war das ein Winkelzug des britischen Geheimdienstes. Noel lächelte. Er wußte genau, was er zu sagen hatte, wenn die Briten ihn festnahmen: John Tennyson war ebensowenig ein Meuchelmörder,
wie er einer war, und hatte wahrscheinlich eine viel weißere Weste als eine ganze Anzahl Angehöriger von MI-5.
Vielleicht würde er sogar einen Schritt weitergehen und vorschlagen, daß die Royal Navy sich einen ihrer höchstdekorierten Offiziere etwas näher ansah. Es gab eine ganze Menge Indizien, die darauf deuteten, daß Commander Anthony Beaumont ein Mitglied der ODESSA war, den ein Mann namens Graff in Brasilien angeworben hatte.
Er hatte das Gefühl, in einen Abgrund zu stürzen, immer tiefer, unfähig, Atem zu holen. Sein
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