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Der Hühnerführer: Roman (German Edition)

Der Hühnerführer: Roman (German Edition)

Titel: Der Hühnerführer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Weitmayr
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Alexander gerne in Fleischers Namen eingingen.  
     
     
    ***
     
     
    Vierzehn Tage, nachdem besagte Option gelöst worden war, langte in der Wirtschaftsredaktion einer großen deutschenTageszeitung ein A4-Umschlag ein, der zwei Flügelmappen enthielt. Der Inhalt der ersten war mit derjenigen ident, die Alexander Fleischer mehr als zwei Wochen zuvor vorgelegt hatte – mit einem Unterschied: Statt der rückdatierten Zeitangaben, die den Kommerzialrat hatten glauben machen, es handle sich um brandneue Abhördaten, waren sie mit den richtigen Daten ausgewiesen. Und die lagen sechs Monate zurück.  
    Im zweiten Ordner befand sich die aktuelle Dokumentation. Ihr Inhalt: Wie und warum die Testreihe des Medikaments, auf dem die Hoffnungen der Firma gelegen hatten, gescheitert waren und somit die Übernahme hatten platzen lassen.   
    Es dauerte zwei Tage, bis der zuständige Redakteur die Angaben verifiziert und gegengeprüft hatte. Er selbst hätte die Nachricht schneller gebracht, denn nichts plagt den Journalisten mehr, als die Furcht davor, dass ihm eine Geschichte abgeschossen wird, dass sich vermeintliche Exklusiv-Meldung als Rundschreiben entpuppt.   
    Sein Ressortleiter, ein Mann mit Erfahrung, ließ sich jedoch nicht erweichen und bestand auf einer minutiösen Verifzierung der Fakten. „Nur eine verwundete Bärenmutter schlägt wilder um sich, als ein Unternehmen, das vor der Pleite steht“, hatte er seinem jüngeren Kollegen gesagt und ihn darauf hingewiesen, dass dieser im Falle einer Falschmeldung juristisch eher auf sich alleine gestellt wäre.  
    Sechzehn Tage nach Fleischers Überweisung machte die Zeitung mit der Meldung auf. Pleite: Hunderte Arbeitsplätze in Gefahr, Firma vor dem Aus, tausende Kleinaktionäre bangen um ihr Erspartes.  
    Siebzehn Tage später, als die Put-Option geglättet wurde, wurde das, am Vortag um ein Trinkgeld erworbene Aktienpaket in Fleischers Depot gelegt. Der Broker musste nur das Datum des Eingangs ändern und Fleischer, hätte er Einsicht in seine Daten nehmen wollen, hätte nie gemerkt, auf welchen Umwegen diese Papiere in seinen Besitz gelangt wären – nicht dass es   jemals dazu gekommen wäre. 
    Denn Fleischer, der von der Odyssee seines ukrainischen Kredits keine Ahnung hatte, konnte, als er sich die Nachrichtensendung ansah, die von der Pleite des Pharmabetriebs berichtete, nur an eines denken: Das Fotoalbum, das er vor zweieinhalb Wochen gesehen hatte.  
    „ Die armen Menschen“, sagte seine Ehefrau, die neben ihm auf dem Sofa saß. 
    Er hörte sie nicht.  
    „ Die armen Menschen“, wiederholte sie. 
    „ Wie bitte? Entschuldige. Was hast Du gesagt?“ 
    „ Die armen Leute, die für diese Firma arbeiten. Die verlieren doch jetzt alle ihre Stelle, oder nicht?“ 
    Fleischer nickte. „Ja. Wahrscheinlich.“  
    „ Aber das ist doch furchtbar.“ 
    Fleischer stand auf, murmelte etwas von „Hochkonjunktur“ und dass sie sich um die Mitarbeiter wahrscheinlich keine Sorgen machen müsste. Dann ging er ins Arbeitszimmer und zog die Türe hinter sich zu.   
    Er dachte an seine erwachsenen Kinder und das Enkelkind, das er mittlerweile hatte, an seine Frau, die sich um arbeitslose Labortechniker Sorgen machte und er erkannte, dass keiner von den Menschen, die er liebte, ihn jemals richtig gekannt hatte.   
    Niemals hatte er von seiner Arbeit erzählen können, von den Dingen, die er getan, die ihn belastet, die ihn seines Schlafes beraubt hatten. Niemals vom Druck, unter dem er all die Jahre gestanden hatte, niemals von den Entscheidungen, die im schlimmsten Falle Menschenleben auslöschten. Für seine Familie war er der ruhige, etwas langweilige, aus irgendwelchen Gründen ewig erschöpfte Finanzbeamte gewesen, der zufälligerweise auch die Funktionen Vater, Großvater und Ehemann erfüllte.   
    Ihm wurde klar, dass sich das in der ihm noch verbliebenen, äußerst kurzen Lebenszeit auch nicht ändern würde.   
    Doch vollkommen unverstanden wollte er nicht sein.   
    Vielleicht, wenn es ihm gelang, ihnen etwas zu hinterlassen? Etwas, das davon handelte, wie es war, in den Zeiten zu leben, in denen er gelebt hatte? Wenn es ihm gelang, in Worte zu fassen, was ihn und die Menschen rund um ihn geformt hatte,?  
    Er schaltete die elektrische Schreibmaschine ein, öffnete die Schublade des Schreibtisches und holte ein erstes blütenweißes Blatt Papier hervor.   
    Sorgfältig spannte er es in die Walze, hielt kurz inne, überlegte, wo er

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