Der Hueter der Koenigin - Historischer Roman
Gott klein, um euch zu erhöhen.“ Das Murren in den Reihen der Inquisitoren schwoll zu einem Donnern. Die Stimmung im Offizium näherte sich dem Siedepunkt.
„Euch geht es nur darum, dass ihr den Mittelpunkt der Welt darstellt. Oh, ihr kleingeistigen, egoistischen, biblischen Buchhalter, merkt ihr denn nicht, wie ihr den Großen, den Allmächtigen dadurch verhöhnt?“
Die Inquisitoren starrten gebannt auf den Vorsitzenden. Was würde er tun? Tatsächlich war nun auch Bellarmin der ganzen Situation überdrüssig. Er gab ein Zeichen, und sofort ergriffen die beiden Wachen den Angeklagten, um ihn wieder abzuführen.
„Ihr seid es, die ihr endlich zugeben müsst, was ihr doch längst schon wisst. Ihr seid die wahren Ketzer.“ Das Geschrei des Gefangenen hallte noch durch die steinernen Mauern, als er schon längst die unbehauenen Steinstufen, die zu den Kerkern der Engelsburg führten, hinuntergeschleift wurde. In seiner Zelle angekommen, fiel Giordano sofort in eine tiefe Ohnmacht. Er hörte nicht mehr die unflätigen Witze, die die Wachen über ihn machten, und er hörte nicht das Flehen und Wimmern der Mitgefangenen, die zur Folter abgeholt wurden.
Mitten in der Nacht erwachte er. Es war stockfinster, nur das Rascheln neben ihm im Stroh verriet, dass er seine zwei mal zwei Meter große Zelle diese Nacht wieder mit ein paar Ratten teilte. Die Wachen hatten die Fackeln im Gang vor der Zelle gelöscht. Von weitem war ihr Schnarchen durch die rostigen Gitterstäbe zu hören. Die absolute Finsternis ließ die Gedanken an die Unendlichkeit wieder in ihm wach werden. Doch wohin hatte sie ihn gebracht, die Unendlichkeit? Giordano fühlte Tränen in sich aufsteigen. Er wollte das Gefühl unterdrücken, aber es gelang ihm nicht. Das Salz der Tränen brannte auf seinen rauhen Lippen, doch diesen Schmerz spürte er nicht. Es war ein anderer Schmerz, der in ihm nagte. Er kaute auf seiner Unterlippe, doch die Tränen ließen sich nun nicht mehr aufhalten. Ab und zu war das Rasseln einer Kette zu hören, wenn sich ein Gefangener im Schlaf bewegte. Meist waren es die Neuankömmlinge, die ihr Schicksal nicht akzeptieren wollten, die man fesseln musste. Was hatte er falsch gemacht? Was hatte ihn hierhergebracht? Er wollte doch nichts Böses, wollte der Welt nur die Augen öffnen, wollte ihr die Allmacht Gottes verdeutlichen. Das war seine Frohbotschaft. Nicht das Drohen der Kirche. Nein, frei und glücklich sollten die Menschen sich an den Wundern Gottes in der Natur erfreuen können. Ach, hätte er doch auf den guten Guiseppe gehört. Er hatte ihn vor den Fanatikern gewarnt. Was wohl aus ihm geworden war? Aber er, Giordano, war selbst ein Verbohrter. Einer, der nur noch sich und seinen Drang zu höherer Weisheit und Erkenntnis kannte. Ein eitler Narr war er gewesen. Nicht genug hatte er bekommen können von den Auseinandersetzungen mit den Gelehrten an den Universitäten und an den Fürstenhöfen. Hochmut und Eitelkeit – sie hatten ihn in diesen Kerker gebracht, und nun war alles vorbei. Giordano schluchzte auf. Wem sollte er nun seine Gedanken weitergeben? Wem sein Wissen übermitteln, auf dass es weiter blühe und gedeihe und in die Welt hinausgetragen werde? Vielleicht hätte er doch einen ganz anderen Weg wählen sollen. Seinem Begehren nachgeben, wenn er eine Frau getroffen hatte, die seine Sinne verwirren und sein Herz vor Freude springen lassen konnte. Aber nein. Kein Platz für Gefühle, wo die Wissenschaft regiert. Stolz konnte er nun auf sich sein, dass er so selbstbeherrscht war. Stolz, dass ihn seine hart erlernte Disziplin nun in dieses dreckige Loch gebracht hatte anstatt in ein schönes Haus, wo er seine vielen Kinder die Gedächtniskunst oder das Wissen über das Weltall hätte lehren können. Die Tränen waren versiegt, die Wut über sich selbst war geblieben. Er hatte die Wahl gehabt. Nun hatte er sie nicht mehr.
Kapitel 3
Giordano wählte den Weg an der Küste entlang, westlich am Vesuv vorbei. Es war schwül, und er begann, schon wenige Schritte nachdem er die kühlenden Klostermauern verlassen hatte, stark zu schwitzen.
Kopernikus … an ihn musste Giordano nun denken, als er den Himmel über sich betrachtete. Kopernikus. Bald schon, war er sich sicher, würde er wieder in den Genuss der Lektüre dieses großartigen Geistes gelangen.
Die schmale Landstraße nahe am Meer versprach Linderung durch einen leichten Seewind. Rasch versuchte er die engen Gassen Neapels zu verlassen, wo es nach Unrat stank
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