Der Hueter der Koenigin - Historischer Roman
sie ihn jetzt gleich gefragt, was in aller Welt er spätabends hier wolle. Die Freude, ihn wiederzusehen, wich der Sorge und Angst, im Kloster könne etwas vorgefallen sein. Es war eine sehr schwere Entscheidung für sie und ihren Mann gewesen, den damals erst Vierzehnjährigen zum Studium nach Neapel zu schicken. Nur allzu gut hätten sie eine helfende Hand für ihre kleine Landwirtschaft brauchen können. Der Vater war wieder kurz davor gewesen, in einen Krieg zu ziehen, von dem man nie genau sagen konnte, wie lange er dauern würde. Es war gegen die Türken gegangen, und es konnten Jahre vergehen, bis er wieder nach Nola zurückkehren würde. Die Nachbarn, die dann in der Landwirtschaft aushalfen, hatten ihnen zugeredet, den Sohn nicht ziehen zu lassen, doch Giordanos Mutter war sich nicht sicher, ob sie alleine für sich und den Jungen würde sorgen können, zumal sich eine längere Dürreperiode ankündigte. Der Eigenbrötler solle lieber arbeiten, wie ihre Kinder auch, hatten die Nachbarn sich eingemischt. Studieren wollte er. Grammatik, Rhetorik, Poetik – wer sollte davon einmal eine Familie ernähren können? Ein Augustinerpater auf der Durchreise hatte sie schließlich überredet, den auffallend begabten Jungen nach Neapel zu schicken. Er hatte sich angeboten, ihn mitzunehmen und dafür zu sorgen, dass er im Kloster untergebracht würde. Auf die Frage, wer denn für die Kosten aufkäme, hatte er nur gelächelt. Der Orden freute sich über begabten Nachwuchs und konnte ein so schlaues Bürschchen, wie ihr Junge es war, gut brauchen. Er konnte es formen und dafür sorgen, dass ein guter, kirchentreuer Geistlicher aus ihm würde. Mit siebzehn war er dann in den Dominikanerorden eingetreten, der ebenfalls für seinen Unterhalt aufkam. Dort war er das erste Mal mit der Philosophie des Aristoteles in Berührung gekommen. Gierig verschlang er die Werke Averroes’. Magisch zogen ihn die theologischen und philosophischen Schriften, die er im Kloster fand, an. Besonders die Naturphilosophien hatten es ihm angetan. Lukrez, Platon, aber auch die Werke Ovids, Horaz’ und Vergils lernte er rasch zu lieben. Giordano besuchte auch öffentliche Vorlesungen außerhalb der Klostermauern. Die freie, wortgewaltige Rede mancher Professoren ließ in ihm den Wunsch wachsen, irgendwann einmal ebenso vor den Studierenden zu stehen und sie an seinem Wissen teilhaben zu lassen.
Die Hunde hatten ihr Geheul aufgegeben, und eine der Katzen hatte sich auf dem Schoß Giordanos niedergelassen, ließ sich den Rücken kraulen und gab dabei sanft schnurrende Laute von sich. Ohne eine Antwort abzuwarten, hatte seine Mutter Brot, Käse und einen Krug mit frischem Wasser, das sie rasch aus dem hauseigenen Brunnen in dem kleinen Gemüsegarten hinter dem Haus geholt hatte, auf den Tisch gestellt. Immer noch hatte er kein Wort gesprochen. „Wo mag denn der Vater sein?“, dachte er.
„Dein Vater ist draußen bei den Ziegen auf der Weide.“ Es war, als hätte sie seine Gedanken erraten. „ Schon zwei Mal ist uns in letzter Zeit ein Jungtier abhandengekommen, und dein Vater wird wohl die ganze Nacht wachen und sehen, wer der freche Dieb ist.“ Giordano schmunzelte. Er kannte seinen Vater nur zu gut. Er würde so lange bei den Tieren bleiben, ja selbst draußen übernachten, bis er herausgefunden hatte, wer es wagte, sich an seinem Eigentum zu vergreifen. Sicher war der alte Soldat gut bewaffnet. Geübt im Kampf Mann gegen Mann, brauchte man sich keine Sorgen um ihn zu machen, auch wenn er es mit einer größeren Diebesbande oder einem wilden Tier zu tun bekäme. Wortlos ließ er sich das Essen schmecken, leerte den Krug in einem Zug. Der klobige, unebene Holztisch ließ Kindheitserinnerungen in ihm wach werden. Immer noch gab es eine große, dicke, weiße Kerze in der Mitte des Tisches wie die, mit deren Wachs er als Junge so gern gespielt hatte, ließen sich daraus doch herrliche Kügelchen und andere Gebilde formen. Sein Vater hatte ihm einmal kleine Holztiere und Figuren von Kriegern von einem seiner Feldzüge mitgebracht. Mit diesen hatte der kleine Junge dann stundenlang im Schein der Kerze gespielt, während draußen der scharfe Wind von den nahen Bergen pfiff.
Giordano nickte nur, als seine Mutter ihn fragte, ob er länger bleiben wolle. Immer noch traute sie sich nicht, ihn zu fragen, warum er denn nun hier sei. Sie wusste nur zu gut, dass er darauf lediglich antworten würde, wenn er wirklich wollte. Also ließ sie ihm Zeit.
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