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Der Hueter und das Kind

Der Hueter und das Kind

Titel: Der Hueter und das Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vampira VA
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glitt wie von selbst um die schmalen Schultern des Jungen und zog ihn näher zu sich. Er selbst hob das Gesicht und sah die Frau an - mit einem Ausdruck in den Augen, der nur zum Teil flehend war, zum anderen . Livia verfolgte den Gedanken nicht weiter, sondern wandte sich statt dessen an ihren Mann:
    »Giuseppe, laß ihn doch noch ein wenig hierbleiben. Nur für eine Weile. Vielleicht -«, sie stockte einen flüchtigen Moment lang, »- erzählt er uns ja doch noch, was ihn hierhergeführt hat, wo er herkommt, wie er heißt .«
    Giuseppe lächelte milde und sorgenvoll in einem.
    »Livia, wir müssen vernünftig sein. Vielleicht sorgt sich jemand um ihn, dann dürfen wir ihn nicht hierbehalten.«
    »Aber .«
    »Ich heiße Gabriel. Und niemand sorgt sich um mich.«
    Die Zeit schien für Augenblicke stillzustehen. Schweigen legte sich wie ein tatsächliches Gewicht über den Raum und erstickte jede Regung.
    »Siehst du?« sagte Livia schließlich strahlend.
    »Na gut«, erwiderte Giuseppe. Und für den kleinsten Teil einer Sekunde wunderte er sich, weshalb er das Thema so einfach abhakte. Er hatte doch etwas ganz anderes sagen wollen, aber . Egal, es war nicht wichtig.
    Livia stand auf und trat zu ihm. Sie barg ihr Gesicht an seiner Brust, er senkte das seine in ihr schwarzes Haar.
    »Vielleicht ist er der Sohn, den wir uns immer gewünscht haben«, flüsterte sie. »Vielleicht hat Gott ihn uns geschickt .«
    Giuseppe nickte.
    »Ja, vielleicht .«
    Hätten sie in diesem Moment in die Augen Gabriels gesehen, so hätten sie erkannt, daß keinesfalls Gott es gewesen sein konnte, der ihnen den Knaben geschickt hatte .
    *
    Indien
    Wie bei jedem seiner vorherigen Besuche empfand Landru die indische Hauptstadt Delhi als gefräßigen Moloch, als Monstrum, das selbst ihm - nun, nicht wirkliche Furcht, aber doch ein Unbehagen verursachte, das sich nicht einfach abstreifen ließ.
    Womöglich lag der Grund auch darin, daß Landru hier in Delhi eine seiner vielleicht größten, in jedem Fall aber eine seiner bittersten Niederlagen bereitet worden war.
    Die hiesige Sippe hatte sich vor gar nicht langer Zeit unter der Führung Tanors gegen ihn erhoben und ihm seine ureigensten Geheimnisse entrissen. Bis dahin hatte kein Vampir der Welt gewußt, daß der mysteriöse Kelchhüter von einst und Landru ein- und dasselbe Wesen waren. Niemand hatte irgend etwas über Landru gewußt - bis die Delhi-Vampire sein Innerstes nach außen gekehrt hatten. Und fast mußte er ihnen dankbar sein, daß sie ihm »nur« seine Geheimnisse genommen hatten. Denn es wäre ihnen damals ein Leichtes gewesen, ihm alles zu nehmen .
    Während Landru durch die engen, nachtdunklen Gassen der alten Kernstadt am Rande der Ganges-Ebene ging, ertappte er sich bei dem geheimen Wunsch, sie hätten es getan. Wieviel wäre ihm erspart geblieben! Und die Alte Rasse wäre womöglich nie wirklich untergegangen .
    »Verdammt!« mahnte der Hüter sich selbst zur Ordnung und ver-trieb das Gift aus seinen Gedanken. Solche Überlegungen waren nicht nur frevelhaft, sondern demütigend und selbstzerstörerisch. Und Delhi war gewiß nicht der Ort, an dem er sich neuerliche Schwächen erlauben durfte. Obschon er Tanor nach den damaligen Ereignissen zu seinem Freund, zumindest aber zu seinem Verbündeten erkoren hatte - weil er mit seinem frischerworbenen Wissen andernfalls zu Landrus Feind geworden wäre .
    Der Hüter war sich selbst nicht ganz im klaren, weshalb er den langen Weg zum verborgenen Versammlungsort der Delhi-Sippe (es bereitete ihm selbst in Gedanken noch Mühe, von seinem Volk nicht mehr in der Größenordnung von Sippen denken) wählte. Schneller wäre er gewesen, hätte er die Strecke in Fledermausgestalt zurückgelegt. Doch er hatte es nicht sehr eilig, und zudem ließ die solchermaßen gewonnene Zeit sich nutzen, um eigenen Überlegungen nachzugehen. Auch wenn er sich dabei auf Gedankenpfaden bewegte, die er in den vergangenen Wochen und Monaten bereits hundert Mal und öfter beschritten hatte - ohne indes wirklich zu einem Ziel zu gelangen oder auch nur tatsächliche Antworten zu finden.
    Seine Hand senkte sich unbewußt in den ledernen Beutel und strich über die poröse Oberfläche des Lilienkelches, als er einmal mehr über den todbringenden Keim, der darin saß, nachsann. Natürlich, für sich war er zu der scheinbaren Überzeugung gelangt, daß nur Gott selbst ihn hineingesät haben konnte. Aber akzeptierte er diese Möglichkeit nicht nur deshalb, weil sie ihn

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