Der Hundeknochen
grüner als auf einer Alm, und die Bäume ringsum sahen gesünder aus als die im Schwarzwald. Die hohen Industrieschlote sorgten dafür, daß sich Qualm und Gifte fernab der Fabriken übers Land verteilten; eine Art Demokratisierung der Umweltverschmutzung.
Einerseits verwehrten Büsche und Bäume die direkte Sicht auf das Haus, andererseits ermöglichten gerade sie es, daß man sich ungesehen nähern konnte. Ich schlich mich auf Steinwurfweite heran.
Daß Pollex’ Firma kurz vor der Pleite gestanden hatte, sah man seiner Villa nicht an. Auf einem Natursteinsockel stützte sich eine Konstruktion aus Holz und Glas, nicht viel kleiner als ein öffentliches Hallenbad. Zu so etwas konnte man es also bringen mit dem Wegsprengen von Mietskasernen und dem Aushöhlen alter Bürgerhäuser. Aus der Doppelgarage lugte das Heck einer blauen Jaguar-Limousine, davor stand ein schwarzer Golf.
Ich legte meine Kamera mit dem Schulterstativ an einen Baumstamm und wartete. Vielleicht kam jemand, vielleicht ging jemand, irgend etwas mußte ich ja tun. Warten ist die Hauptbeschäftigung in meinem Beruf. Warten auf Anrufe, auf Zahlungen, auf bessere Zeiten. Nur Soldaten warten noch mehr, die allerdings auf schlechtere Zeiten.
Ein paarmal mußte ich die Spähtrupps der kleinen roten Waldameise, präziser gesagt der hundsgemeinen, tückischen, schmerzhaft beißenden Waldameise, von meinem Handrücken pusten.
Nach etwa einer halben Stunde wurde die Haustür geöffnet. Die Frau, die heraustrat, war der Typ, der auch mit vierzig noch eine Menge Bein zeigen konnte. Sie hatte ein schmales Gesicht und streng zurückgekämmtes braunes Haar, das von einem weißen Band gehalten wurde. Ich ging davon aus, daß es Vera Pollex war, die Salm so ganz unschuldig von den Urlaubskontakten ihres Ehemannes zu den starken Jungs vom Kiez erzählt hatte.
Sie warf die Tennistasche auf den Beifahrersitz des Golf, besann sich und rief etwas. Daraufhin erschien, eilfertig wie ein Diener, ein untersetzter Mann in der Haustür, mit nackten Füßen, Badelatschen, Zigarre und einem Bauch, der nach dem Heimtrainer schrie. Pollex – jedenfalls entsprach der Mann exakt der Beschreibung, die Salm mir von seinem Geschäftspartner gegeben hatte.
Pollex beobachtete, wie seine Frau mit dem Wagen langsam über den Kiesweg rollte, winkte ihr nach mit Händen, Augen und Zigarre und betätigte eine Fernsteuerung.
Während das Eisentor zur Seite glitt und sich wieder schloß, drückte ich einige Male auf den Auslöser der Kamera. Dann lief ich zu meinem Kombi.
An der ersten Ampel hatte ich den Golf eingeholt. Ein Reitweg kreuzte hier die Asphaltstraße, die den Speldorfer Wald durchschnitt. Der Ampelschalter, der soeben von einer jungen Frau zu Pferde betätigt worden war, befand sich in Augenhöhe der Reiterin wie früher die Türklopfer an Burgtoren; für das Fußvolk gab es einen zweiten, etwas tiefer angebrachten Knopf. Ja, so vornehm war man hier. Das Pferd äpfelte, was nicht ganz so vornehm aussah, die wartenden Autofahrer hupten, dann ging es weiter.
An der folgenden Kreuzung bog der Golf rechts ab. Seltsam, um zu dem nächstgelegenen Tennisklub zu kommen, hätte Vera Pollex den Wagen nach links lenken müssen. Sie fuhr nun zügig in Richtung Kettwig, entlang der Ruhr, vorbei an überschwemmten Flußwiesen, halb abgesoffenen Campingwagen und vereinzelten Ausflugslokalen.
Ich blieb dran, aber mit größerem Abstand. Und das war auch gut so. Vor der Mintarder Ruhrtalbrücke, die wegen ihrer Höhe bei Selbstmördern beliebt ist, setzte Vera Pollex den Blinker.
Ich hatte gerade noch Zeit, die Sprühschrift auf dem Brückenträger zu lesen – Trau dich! und dazu ein Strichmännchen mit zum Sprung gereckten Armen –, ehe ich mich schon wieder wundern mußte. Im Feld, halb verdeckt von einem Brückenpfeiler, parkte ein sandfarbener Mercedes. Es war Salms Wagen.
Er stieg aus, winkte heftig und ging der Tennisspielerin entgegen. Eine ähnlich leidenschaftliche Umarmung hatte ich das letzte Mal in einem Film gesehen, der für Jugendliche verboten war. Oder auch nicht. Jedenfalls gab es da eine Frau, die ganz verrückt auf einen Mann war, aus religiösen Gründen ihrem Verlangen aber nicht nachgeben durfte. Bis dann der Mann ein Vogelhäuschen in ihrem Garten aufstellte, woraus sie messerscharf schloß, daß er bald am Horizont verschwinden würde. In diesem Moment warf die Frau Erziehung, Moral und religiöse Skrupel über Bord, ging auf den Mann zu, zuletzt rannte
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