Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Hundertjaehrige der aus dem Fenster stieg und verschwand

Der Hundertjaehrige der aus dem Fenster stieg und verschwand

Titel: Der Hundertjaehrige der aus dem Fenster stieg und verschwand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Jonasson
Vom Netzwerk:
Mutter und Vater schliefen bei den Kindern, damit Marschall Herbert das große Schlafzimmer für sich hatte. Der Adjutant landete auf dem Küchenboden.
    Am Morgen gab es Frühstück mit gedämpftem Gemüse, Trockenfrüchten und Tee. Und dann füllte der Bauer den Tank des Autos mit Benzin, das er aus einem Fass im Stall holte.
    Das Geldbündel, das man ihm dafür anbot, wollte er partout nicht annehmen, bis der Marschall ihn auf Deutsch anbrüllte:
    »Jetzt nimm das Geld endlich, du Scheißbauer! «
    Das schüchterte den Bauern so ein, dass er tat, was Herbert verlangte, auch wenn er kein Wort verstanden hatte.
    Allan und Herbert winkten der Familie freundlich zum Abschied, und dann fuhren sie in südwestlicher Richtung weiter, ohne auf der gewundenen Straße irgendjemandem zu begegnen. Doch aus der Ferne tönte das drohende Brummen der Bomber.
    Je näher sie Pjöngjang kamen, umso angestrengter dachte Allan über einen neuen Plan nach. Der alte taugte jetzt ja nicht mehr allzu viel, denn nach seiner Einschätzung war es ausgeschlossen, von hier einen Grenzübergang zu versuchen.
    Stattdessen fasste er den Entschluss, sich um ein Treffen mit Ministerpräsident Kim Il-sung zu bemühen. Herbert war immerhin sowjetischer Marschall, das dürfte doch wohl reichen, oder?
    Herbert entschuldigte sich, dass er sich in Allans Pläne einmischte, aber was solle denn der Witz an einem Treffen mit Kim Il-sung sein?
    Allan meinte, das wisse er noch nicht, aber er versprach, darüber nachzudenken. Einen Grund konnte er Herbert aber schon mal nennen: Wenn man sich immer schön an die hohen Tiere hielt, wurde tendenziell auch das Essen immer besser. Und der Schnaps übrigens auch.
    Doch Allan wusste, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis Herbert und er angehalten und wirklich kontrolliert werden würden. Nicht einmal ein Marschall konnte einfach durch ein Land fahren, in dem gerade Krieg herrschte, ohne vorher zumindest befragt zu werden. Deshalb verwendete Allan ein paar Stunden darauf, Herbert einzutrichtern, was er in so einem Fall sagen sollte: » Ich bin Marschall Merezkow aus der Sowjetunion. Bringen Sie mich zu Ihrem Anführer! «
    Pjöngjang wurde in dieser Zeit von einem äußeren und einem inneren Militärring geschützt. Der äußere war zwanzig Kilometer von der Stadt entfernt und bestand aus Flakgeschützen und Straßenposten, während der innere Ring eine reine Barrikade war, fast schon eine Frontlinie, zum Schutz gegen einen Angriff auf dem Landweg. Allan und Herbert blieben also bei einem der Außenposten hängen, wo sie ein hoffnungslos betrunkener nordkoreanischer Soldat mit entsicherter MP vor der Brust empfing. Marschall Herbert hatte seinen einzigen Satz immer und immer wieder geprobt, und jetzt sagte er:
    »Ich bin Ihr Anführer, bringen Sie mich … in die Sowjetunion!«
    Zum Glück verstand der Mann kein Russisch, dafür aber Chinesisch. Daher konnte Adjutant Allan für seinen Marschall dolmetschen, sodass diesmal die vollständige Botschaft übermittelt wurde, und zwar in der richtigen Reihenfolge.
    Doch der Soldat hatte solche Unmengen von Alkohol im Blut, dass ihm einfach nicht einfiel, wie er auf diese Situation reagieren sollte. Er bat die beiden auf jeden Fall schon mal in die Wachstube, und dann rief er seinen Kollegen an, der zweihundert Meter weiter am nächsten Schlagbaum stand. Danach setzte er sich in einen abgewetzten Sessel und zog eine Flasche Reisschnaps aus der Tasche (es war seine dritte heute). Nachdem er einen Schluck genommen hatte, begann er eine Melodie vor sich hin zu summen. Dabei sah er leeren, glänzenden Blickes direkt durch die sowjetischen Besucher hindurch, irgendwo in weite Fernen.
    Allan fand, dass Herbert sich vor der Wache nicht besonders gut geschlagen hatte. Eines war ihm klar: Wenn Herbert weiterhin den Marschall gab, würden sowohl Marschall als auch Adjutant nach wenigen Minuten mit Kim Il-sung ganz gewaltig hopsgenommen werden. Durchs Fenster sah er die andere Wache näher kommen. Jetzt hieß es schnell handeln.
    »Los, Herbert, wir tauschen die Uniformen«, befahl Allan.
    »Warum das denn?«, fragte Herbert.
    »Sofort«, kommandierte Allan.
    Und so wurde in Windeseile aus dem Marschall der Adjutant und aus dem Adjutanten ein Marschall. Der hoffnungslos betrunkene Soldat verfolgte das Ganze mit unstetem Blick und gurgelte dazu etwas auf Koreanisch.
    Sekunden später betrat Soldat Nummer zwei die Stube. Er nahm Haltung an und salutierte, als er sah, was sie für

Weitere Kostenlose Bücher