Der Hundertjaehrige der aus dem Fenster stieg und verschwand
störte Allan nicht so sehr, er fand sogar, dass er in Professor Lundborgs Klinik sehr freundlich aufgenommen worden war. Dort musste er ab und zu Fragen zu allen möglichen Themen beantworten, unter anderem, warum er Dinge und Menschen in die Luft sprengte und ob seines Wissens Negerblut in seinen Adern floss. Darauf erwiderte Allan, dass es ihm zwar Freude bereite, eine Ladung Dynamit hochzujagen, dass er aber schon einen gewissen Unterschied zwischen Dingen und Menschen sehe. Einen Stein zu spalten, der einem im Weg stand, könne sich ganz gut anfühlen. Wenn einem aber statt eines Steins ein Mensch im Weg stehe, reiche es nach Allans Erachten, den Betreffenden zu bitten, ein Stück zur Seite zu gehen. Ob Professor Lundborg nicht derselben Meinung sei?
Doch Bernhard Lundborg gehörte nicht zu den Ärzten, die sich mit ihren Patienten auf philosophische Diskussionen einließen. Stattdessen wiederholte er die Frage nach dem Negerblut. Allan antwortete, das könne man nicht wissen, aber seine Eltern seien ebenso weißhäutig gewesen wie er, und ob diese Antwort für den Herrn Professor nicht ausreichend sei? Er fügte hinzu, dass er unheimlich gern mal einen richtigen Neger sehen würde, ob der Herr Professor wohl zufällig gerade einen auf Lager habe?
Professor Lundborg und seine Assistenten beantworteten Allans Gegenfragen nicht, sondern machten sich Notizen und brummten etwas in sich hinein, und dann ließen sie ihn wieder in Frieden, manchmal sogar tagelang. Diese Tage verbrachte Allan dann mit unterschiedlichster Lektüre. Zum einen las er natürlich die Tageszeitungen, zum andern aber auch Literatur aus der bemerkenswert umfangreichen Krankenhausbibliothek. Dazu kamen noch drei Mahlzeiten täglich, eine Toilette im Haus und ein eigenes Zimmer – Allan fühlte sich wohl in seiner Zwangsbetreuung. Nur einmal wurde die Stimmung getrübt, als Allan nämlich den Professor neugierig fragte, was denn eigentlich so schlimm daran sei, wenn einer Neger oder Jude war. Da antwortete der Professor ausnahmsweise nicht mit Schweigen, sondern brüllte, dass Herr Karlsson sich gefälligst um seinen eigenen Kram kümmern und sich nicht in die Angelegenheiten anderer Leute mischen solle. Die Situation erinnerte Allan ein wenig an die, in der ihm seine Mutter damals mit einer Ohrfeige gedroht hatte.
Die Jahre gingen ins Land, und die Befragungen wurden immer seltener. Dann gab der Reichstag eine Untersuchung zur Sterilisierung »biologisch minderwertiger Personen« in Auftrag, und als der Bericht veröffentlicht wurde, verschaffte er Professor Lundborgs Tätigkeit einen solchen Aufschwung, dass Allans Bett von anderen benötigt wurde. Im Frühsommer 1929 wurde Allan also für rehabilitiert erklärt und auf die Straße gesetzt. Man drückte ihm ein Taschengeld in die Hand, das mit knapper Not für den Zug nach Flen reichte. Die letzten zehn Kilometer nach Yxhult musste er zu Fuß gehen, aber das machte Allan nichts aus. Nach vier Jahren hinter Schloss und Riegel musste er sich auch mal wieder die Beine vertreten.
5. KAPITEL
Montag, 2. Mai 2005
Im Handumdrehen stand die Nachricht von dem alten Mann, der sich an seinem hundertsten Geburtstag in Luft aufgelöst hatte, auf der Titelseite der Lokalzeitung. Da die Reporterin ganz ausgehungert nach echten Neuigkeiten aus der Gegend war, hatte sie hinzugefügt, dass eine Entführung nicht auszuschließen sei. Der Hundertjährige war laut Zeugen geistig völlig klar, er konnte sich also nicht einfach verlaufen haben.
An seinem hundertsten Geburtstag zu verschwinden, ist ja nun wirklich etwas Außergewöhnliches. Das Lokalradio stieg ebenfalls darauf ein, gefolgt von landesweiten Radiosendern, der schwedischen Nachrichtenagentur TT, den Onlineausgaben der wichtigsten Tageszeitungen sowie den Nachmittags- und Abendnachrichten im Fernsehen.
Der Polizei in Flen blieb nichts anderes übrig, als den Fall der Kriminalpolizei zu überlassen, welche zwei Funkstreifenwagen sowie einen Kriminalkommissar Aronsson in Zivil schickte. Diese bekamen bald Gesellschaft von diversen Reporterteams, die ihnen halfen, die ganze Gegend auf den Kopf zu stellen. Das ansehnliche Medienaufgebot nahm der Polizeipräsident zum Anlass, die Arbeit vor Ort höchstpersönlich zu leiten, in der Hoffnung, dabei vielleicht von irgendeiner Kamera gefilmt zu werden.
Die einleitenden Ermittlungen bestanden darin, dass die Streifenwagen kreuz und quer durch die Ortschaft fuhren, während der Kommissar die Leute im
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