Der Hundertjaehrige der aus dem Fenster stieg und verschwand
Akkreditierungszeremonie mit Präsident de Gaulle einerseits und dem Botschafter eines fernen, unwichtigen Landes andererseits dauerte meistens ganze sechzig Sekunden. Nur wenn der betreffende Diplomat eine echte Plaudertasche war, konnte sich diese Zeit verdoppeln.
Dass sich im Fall der indonesischen Botschafterin plötzlich alles ganz anders entwickelt hatte, hatte gewichtige weltpolitische Gründe, die Allan Karlsson sich nicht mal hätte ausrechnen können, wenn er sich bemüht hätte.
Die Sache war die, dass Präsident Lyndon B. Johnson in der amerikanischen Botschaft in Paris saß und sich nach einem politischen Erfolg sehnte. Die weltweiten Proteste gegen den Vietnamkrieg hatten mittlerweile Orkanstärke erreicht, und die Symbolfigur dieses Krieges, Präsident Johnson, war eigentlich nirgends mehr beliebt. Auch wenn er die Hoffnung, im November wiedergewählt zu werden, längst aufgegeben hatte, hätte er doch nichts dagegen gehabt, wenigstens für etwas Netteres in die Geschichte einzugehen. Momentan skandierten die Leute überall nur »Mörder« und ähnlich unangenehme Bezeichnungen. Daher hatte er zuerst die Bombardierung Hanois eingestellt und dann tatsächlich eine Friedenskonferenz eingeleitet. Dass in der Stadt, in der diese Konferenz stattfinden sollte, kriegsähnliche Zustände auf den Straßen herrschten, fand Präsident Johnson fast schon wieder komisch. Aber daran sollte sich jetzt mal dieser de Gaulle die Zähne ausbeißen.
Präsident Johnson hielt de Gaulle für einen Dreckskerl, der offenbar völlig verdrängt hatte, wer hier die Ärmel hochgekrempelt und sein Land vor den Deutschen gerettet hatte. Doch die Spielregeln der Politik verlangten leider, dass ein französischer und ein amerikanischer Präsident sich unmöglich in derselben Hauptstadt aufhalten konnten, ohne zumindest zusammen zu Mittag zu essen.
Daher hatte man ein solches anberaumt, und das wollte jetzt durchgestanden sein. Glücklicherweise war den Franzosen die Eselei gelungen, ihrem Präsidenten zwei Termine gleichzeitig zu verpassen (nicht dass das Johnson überrascht hätte). So kam es, dass nun auch die neue Diplomatin der indonesischen Botschaft – eine Frau in der Botschaft! – mit am Tisch sitzen würde. Das fand Präsident Johnson großartig, denn so konnte er sich die ganze Zeit mit ihr unterhalten statt mit diesem de Gaulle .
Dabei hatte in Wirklichkeit niemand die Termine des Präsidenten verbaselt, nein, de Gaulle selbst hatte in letzter Sekunde den glorreichen Einfall, so zu tun , als wäre es ein Versehen gewesen. Auf diese Weise würde das Essen wenigstens irgendwie erträglich werden, denn nun konnte er sich mit der indonesischen Botschafterin – eine Frau in der Botschaft! – unterhalten statt mit diesem Johnson .
Präsident de Gaulle mochte Johnson nicht, aber das hatte eher geschichtliche als persönliche Gründe. Die USA hatten gegen Kriegsende versucht, Frankreich unter amerikanische Militärverwaltung zu stellen – die hatten ihm glatt sein Land stehlen wollen! Wie sollte de Gaulle ihnen das jemals verzeihen? Da war es ganz egal, ob der jetzige Präsident etwas damit zu tun gehabt hatte oder nicht. Der jetzige Präsident übrigens … … Johnson … Johnson hieß er. Die Amerikaner hatten eben einfach keinen Stil.
Fand Charles André Joseph Marie de Gaulle.
* * * *
Amanda und Herbert berieten sich und waren sich bald einig, dass es besser war, wenn er zu Hause blieb, während sie sich mit den Präsidenten im Élysée-Palast traf. Damit war das Risiko eines totalen Fiaskos nämlich gleich nur noch halb so groß, dachten sie sich. Ob Allan das nicht auch fand?
Er schwieg einen Moment und erwog mehrere Antwortmöglichkeiten, bis er schließlich sagte:
»Ach, Herbert, weißt du was? Bleib du mal schön zu Hause.«
* * * *
Die Gäste waren schon alle versammelt und warteten auf den Gastgeber, der wiederum in seinem Büro saß und um des Wartens willen wartete. Das wollte er noch ein paar Minuten ausdehnen, in der Hoffnung, dass die Warterei diesem Johnson die Laune verhagelte.
In der Ferne hörte de Gaulle die Krawalle und Demonstrationen, die in seinem geliebten Paris tobten. Die Fünfte Französische Republik war plötzlich ins Wanken geraten, ganz plötzlich, wie aus dem Nichts. Zuerst waren es nur ein paar Studenten, die für freie Liebe und gegen den Vietnamkrieg waren und ihrer Unzufriedenheit Ausdruck verliehen. So weit, so gut, fand der Präsident, denn die Studenten hatten ja von
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