Der Hundertjaehrige der aus dem Fenster stieg und verschwand
wären im Arbeitslager gelandet, weil Sie sich geweigert hatten!«
»Stalin hab ich’s nicht erzählt. Der hätte das doch sowieso nicht kapiert. Aber tags zuvor, als ich mit diesem Physiker zusammensaß, bin ich vielleicht etwas mehr ins Detail gegangen, als ich sollte. So was passiert eben mal, wenn zu viel Schnaps im Spiel ist, Herr Präsident. Und ich wusste ja erst am nächsten Tag, was für ein übler Kerl dieser Stalin ist.«
Präsident Johnson nahm die Hand von der Stirn, fuhr sich damit durchs Haar und dachte sich, dass Erläuterungen zum Bau von Atombomben eigentlich nicht zu den Dingen gehörten, die einem mal eben rausrutschen, ganz egal, wie viel Alkohol man getrunken hatte. Allan Karlsson war … er war … ein Verräter? Obwohl … er war freilich kein amerikanischer Staatsbürger, wie sah das denn aus? Das musste sich Präsident Johnson alles noch mal gründlich überlegen.
»Und dann?«, fragte er, weil ihm nichts anderes einfiel.
Allan fand, er sollte jetzt vielleicht doch lieber mit den Einzelheiten rausrücken, immerhin hatte ihn ein Präsident gefragt. Also erzählte er von Wladiwostok, Marschall Merezkow, Kim Il-sung, Kim Jong-il, von Stalins glücklichem Tod, von Mao Tse-tung, dem Riesenhaufen Dollahs , mit dem Mao Tse-tung ihn netterweise versehen hatte, von dem ruhigen Leben auf Bali, von dem irgendwann nicht mehr ganz so ruhigen Leben auf Bali und schließlich von der Reise nach Paris.
»So, das war alles«, schloss Allan. »Jetzt hab ich aber eine trockene Kehle von dem ganzen Erzählen.«
Der Präsident bestellte noch eine Runde Bier, bemerkte aber leicht gereizt, eine Person, die in betrunkenem Zustand nukleare Geheimnisse ausplauderte, sollte vielleicht erwägen, unter die Abstinenzler zu gehen. Dann überdachte er Karlssons absurd klingende Geschichte noch einmal und meinte:
»Mao Tse-tung hat Ihnen also einen fünfzehnjährigen Urlaub finanziert?«
»Ja. Das heißt … na ja. Eigentlich war es ja das Geld von Chiang Kai-shek, und der hatte es wiederum von unserem gemeinsamen Freund Harry Truman gekriegt. Wo Sie es grade erwähnen, Herr Präsident, vielleicht sollte ich Harry mal anrufen und mich bedanken.«
Präsident Johnson hatte ein ziemliches Problem mit dem Wissen, dass der langhaarige Bärtige, der mit ihm am Tisch saß, Stalin die Bombe geschenkt hatte. Und dass er sich mit amerikanischen Entwicklungshilfegeldern einen schönen Lenz gemacht hatte. Obendrein hörte man schon wieder die Demonstranten vor der Botschaft, wie sie skandierten: »U-S-A raus aus Vietnam! U-S-A raus aus Vietnam!« Johnson schwieg und sah ganz elend aus.
Unterdessen leerte Allan sein Glas und musterte das bekümmerte Gesicht des amerikanischen Präsidenten.
»Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«, erkundigte er sich.
»Wie bitte?«, fragte Präsident Johnson, der ganz in Gedanken versunken gewesen war.
»Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«, wiederholte Allan. »Sie sehen so bedrückt aus, Herr Präsident. Vielleicht brauchen Sie ja Hilfe?«
Johnson war drauf und dran, Allan Karlsson zu bitten, den Vietnamkrieg für ihn zu gewinnen, aber dann kehrte er in die Realität zurück und sah vor sich einfach nur den Mann, der Stalin die Bombe geschenkt hatte .
»Ja, Sie können mir helfen«, erwiderte Präsident Johnson müde. »Sie können einfach gehen.«
* * * *
Allan bedankte sich für das Essen und ging seiner Wege. Zurück blieben Präsident Johnson und der Chef der europäischen Abteilung der CIA, der geheime Ryan Hutton.
Lyndon B. Johnson war traurig darüber, in welche Richtung sich Allan Karlssons Besuch entwickelt hatte. Dabei hatte alles so nett angefangen … bis der Mann mal eben verkündete, dass er die Bombe nicht nur den USA, sondern auch Stalin gegeben hatte. Stalin! Dem kommunistischsten aller Kommunisten!
»Hören Sie, Hutton«, sagte Präsident Johnson. »Was sollen wir in der Sache unternehmen? Sollen wir diesen verdammten Karlsson einkassieren und ihn in Öl sieden?«
»Ja«, sagte der geheime Hutton. »Entweder das … oder wir versuchen, ob wir nicht auch ein bisschen von ihm profitieren können.«
Der geheime Hutton war nicht nur geheim, er war auch bestens über fast alles informiert, was aus der Perspektive der CIA irgendwie von politisch-strategischer Bedeutung war. So war ihm zum Beispiel die Existenz des Physikers sehr wohl bekannt, mit dem Allan Karlsson sich auf der U-Boot-Fahrt von Schweden nach Leningrad so fröhlich ausgetauscht hatte. Julij Borissowitsch
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