Der Hundertjaehrige Krieg
Paris einziehen; wenn Heinrich VI. dieser durch Jeanne vermittelten Offenbarung Gottes keinen Glauben schenke, werde ein Krieg über ihn hereinbrechen, wie ihn Frankreich seit tausend Jahren nicht gesehen hätte und den die Engländer nicht gewinnen könnten, weil er ein Gottesurteil sei. Durch diese mitreißende Energie und die ersten großen Erfolge im Feld veränderte Jeanne d’Arc den Krieg. Von jetzt an hatte er religiöse Qualität, weil Gott auf der Seite des Königs von Frankreich stand, den zu bekämpfen infolgedessen ein widergöttliches Handeln sein mußte. Das mehrfache Wiederholen solcher Hinweise auf die Jungfrau als Vermittlerin dieser Gewißheit zeigt, daß Karl VII. mit seinen Beratern durchaus bereit war, sich theologisch zu exponieren, um eine Massenbewegung zu entfesseln und aggressive Volksfrömmigkeit militärisch auszunutzen. Das Risiko war allerdings hoch, denn im Falle erfolgloser Feldzüge würde sich die Propaganda gegen ihre Urheber kehren.
Zunächst aber kam das erhoffte Mirakel von Orléans. Am 4. Mai begann der Angriff auf die Belagerer, wobei die Jungfrauin vorderster Linie kämpfte und durch den Bolzen einer Armbrust verwundet wurde. Schon vier Tage darauf zogen die Engländer ab, und weit über den militärischen Erfolg hinaus sollte das Ereignis auf die Moral der Franzosen wirken. Orléans wurde zum Kristallisationspunkt für Tendenzen, die seit langem wirkten und sich nun recht unvermittelt artikulierten. Schriftsteller wie Alain Chartier hatten schon seit Jahren die Einheit der Franzosen gegen den englischen Usurpator beschworen, und die große Dichterin Christine de Pisan bekannte sich 1429 offen zu Jeanne d’Arc. Weil die Jungfrau den einfachen Soldaten davon überzeugt hatte, daß er mit ihr siegen könne, wurde sie zur Integrationsfigur eines Heeres, das immerhin zur Hälfte aus lombardischen, aragonesischen und kastilischen Söldnern bestand. Diese Armee erhielt in den nächsten Monaten Zulauf aus allen Landesteilen, von Menschen, die nicht Beute suchten, sondern die propagierten Kriegsziele zu ihrer Sache gemacht hatten, und mit dem Einbruch des Übernatürlichen in die Welt änderte der Krieg seinen Charakter. Soldheere kämpften pragmatisch, ohne höhere Ziele, in der neuen Armee Karls VII. dagegen bestimmten jene das Bild, die mit Gottes Hilfe für die Jungfrau und den König kämpfen, siegen oder sterben wollten.
Gegen den Rat La Trémoilles, der immer noch auf Verhandlungen setzte und durch die Erfolge Jeannes seine Stellung am Hof gefährdet sah, erhob Karl VII. den Herzog von Alençon zum Armeeführer, der die von den Engländern als «Hure der Armagnacs» verhöhnte Jungfrau mit sich führte und schon am 12. Juni den Grafen von Suffolk vertrieb, eine Woche später bei Patay eine Heeresgruppe des englischen Befehlshabers Talbot unter Sir John Fastolf in offener Feldschlacht besiegte. Fastolf floh vom Schlachtfeld und wurde daraufhin aus dem Hosenbandorden ausgeschlossen, dem Herzog von Alençon dagegen stand nun der Weg nach Paris offen, dessen Befestigungen Bedford schon verstärken ließ. Jeanne verlangte jedoch unter Berufung auf ihre Stimmen den Marsch auf Reims, um Karl VII. die Krone zu verschaffen, und mit Hilfe des Grafen von Dunois, Bastard von Orléans, setzte sie sich durch. Karl hatte sein Amtschon durch Erbrecht, doch seine Hauptstadt sollte er als geweihter König von Frankreich befreien.
Am 16. Juli kam die Armee in der ehrwürdigen Krönungsstadt an, und am folgenden Tag wurde Karl VII. mit dem heiligen Öl gesalbt, das einst eine Taube für die Taufe des Frankenkönigs Chlodwig vom Himmel gebracht hatte. Während des Gottesdienstes stand die Jungfrau mit ihrer Fahne nahe beim König, und das Ereignis verfehlte seine Wirkung nicht. Der englische Hof setzte zwar im November 1429 die Krönung Heinrichs VI. in Westminster als propagandistische Antithese, aber nach den Niederlagen von Orléans und Patay wuchs die Befürchtung, Karl VII. wohl nicht mehr entscheidend schlagen zu können. Auch in Frankreich glaubten immer mehr Menschen an baldigen Frieden nach einem kurzen, heftigen Krieg, doch während der Siegeszug Jeannes und des Herzogs von Alençon eine Stadt nach der anderen zur Übergabe brachte und Ende August vor Paris zum Stehen kam, stellte La Trémoille dem König einen durch Verhandlungen erreichbaren Ausgleich mit Burgund als sichersten Weg zum Sieg über die Engländer vor. Es schien zweifelhaft, ob die Jeanne stützende
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