Der Hundertjaehrige Krieg
sogar neue Erwerbungen, darunter die Grafschaft Namur und die Grafenrechte über Hennegau, Holland, Seeland und Friesland.
Mit der allmählichen Verlagerung des Schwerpunktes seiner Herrschaft in die Niederlande bekam Philipp der Gute die Konkurrenz der aufstrebenden englischen Tuchindustrie mit den flandrischen Webereien zu spüren, doch die zunächst langsame, dann deutliche Entfremdung gegenüber dem englischen Hof ergab sich nicht so sehr daraus und auch nicht aus der bitteren Erinnerung des burgundischen Adels an die Katastrophe von Azincourt. Ausschlaggebend war vielmehr der Anspruch Herzog Johanns von Bedford als Regent Frankreichs auf die Oberhoheit auch über Herzog Philipp von Burgund, dessen Teilhabe an der Regierung und am französischen Staatsvermögen er nicht mehr hinnehmen wollte. Hier machte sich die englische Kritik an den übergroßen Kosten der Doppelmonarchie bemerkbar, die keine Zahlungen an den Herzog von Burgund mehr erlaubte und dazu die Frage aufwarf, ob denn eine nur teilweise Besetzung Frankreichs auf die Dauer ökonomisch vertretbar wäre. Von hier auswar es nur ein Schritt bis zur Formulierung der Alternative: Entweder vollständige Eroberung oder schneller Abzug.
Philipp der Gute, Herzog von Burgund (1419–1467)
Kopie (um 1470) nach Rogier van der Weyden. Dijon, Musée des Beaux Arts
Derartige Erwägungen mußten die Position der englischen Regentschaft auch bei denen untergraben, die den 1420 vereinbarten Zustand im Prinzip guthießen, denn sie handelten als Bourguignons und Feinde der Armagnacs, nicht aber aus Begeisterung für das Haus Lancaster. Besonders Paris war ganz auf Burgund ausgerichtet. In den Leitungsgremien von Verwaltung, Rechtsprechung, Kirche und Universität saßen noch die Leute Johanns Ohnefurcht; man nahm die Doppelmonarchie hin, weil sie den Frieden sicherte, und fragte nicht viel nach Karl VII. und Heinrich VI. Ein neues Ausbrechen des Krieges auf Veranlassung Bedfords würde jedoch die Indifferenz der öffentlichen Meinung in Feindschaft gegen die englische Regentschaft umschlagen lassen, denn mittlerweile hatte der Krieg seine ursprüngliche Motivation im kollektiven Bewußtsein der Franzosen längst verloren. Sie beklagten nicht so sehr den Zusammenbruch jeder öffentlichen Ordnung in weiten Teilen des Landes, sondern sie bildeten sich ihre Meinung aus individuellem Erleben der Schrecken des Krieges und aus der moralischen Verzweiflung mehrerer Generationen. In dieser Situation begann der Herzog von Bedford seinen Großangriff.
Strategisches Ziel war die Wegnahme der Lebensgrundlage des Hofes von Bourges durch Eroberung von Maine und Anjou. Diese Aufgabe war dem Grafen von Suffolk übertragen, der Ende September 1423 mit den Operationen begann, aber so geringe Erfolge hatte, daß Bedford den Oberbefehl für das nächste Jahr selbst übernahm. Trotz des Sieges bei Verneuil gelang auch ihm der Durchbruch nicht; 1425 wurde zwar Le Mans erobert, die Belagerung des Mont Saint-Michel aber blieb vergeblich, und 1427 gab es sogar einen Lichtblick für Karl VII., als Johann Graf von Dunois, ein illegitimer Sohn Herzog Ludwigs von Orléans, den Grafen von Warwick bei Montargis schlagen konnte. Weil die englische Armee als Invasions- und Angriffstruppe den auf Heimatverteidigung eingerichteten französischen Verbänden gleichwohl überlegen war, nicht so sehr an Zahl, wohl aber an Disziplin und Kampfkraft, entschied der Kriegsrat Johannsvon Bedford im Sommer 1428, bei Orléans die Loire zu überschreiten und anschließend Karl VII. aus Bourges zu vertreiben. Außer einem kleinen burgundischen Kontingent waren dafür nur etwa 3500 schwere Reiter und berittene Bogenschützen verfügbar. Am 12. Oktober 1428 erreichte Thomas von Montagu, Graf von Salisbury, das Umland von Orléans und zog einen weiten, halbkreisförmigen Belagerungswall, dessen Sehne die Loire bildete. Karl VII. hatte nach dem Sturz Richemonts keinen Truppenführer mehr, der den englischen Feldkommandeuren gleichwertig gewesen wäre, und nachdem die Engländer am 21. Oktober am linken Ufer der Loire einen Brückenkopf gebildet hatten, konnten sie den Nachschub für die Stadt unterbrechen und abwarten. Im Frühjahr 1429 war die Versorgungslage in Orléans dann so schwierig geworden, daß die Bürgerschaft die Vermittlung Philipps des Guten suchte und anbot, sich ihm zu unterwerfen, wenn Bedford mit seinen Truppen abzöge. Bedford lehnte das ab, denn er hatte erfahren, daß auch der von Intrigen
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