Der Hundertjaehrige Krieg
Kriegspartei am französischen Hof ihren Einfluß behalten würde, denn der Herzog von Burgund hatte nicht versucht, Karls Zug nach Reims zu behindern, und schickte nun Bevollmächtigte, die am 28. August einen Waffenstillstand bis zum Jahresende aushandelten.
Der Herzog von Alençon rang daraufhin dem König noch einmal die Erlaubnis zum Angriff ab. Gemeinsam mit der Jungfrau wollte er Paris nehmen, aber diesmal blieb das Wunder aus. Später sollte Jeanne aussagen, daß sie ihre Stimmen in Reims zum letzten Mal gehört habe: Mit der Krönung Karls VII. war ihr Auftrag offensichtlich beendet. Unter schweren Verlusten wurden alle Stürme auf die Mauern von Paris abgeschlagen, und nach weiteren Niederlagen breitete sich im Winter 1429/30 Resignation aus. Die Jungfrau hatte überspannte Erwartungen enttäuscht, rasches Vertreiben der Engländer schien unmöglich, der Krieg würde noch lange dauern. Einzig Philipp der Gute profitierte von der Krise, denn er war mittlerweile jedem der streitenden Könige unentbehrlich geworden.
Aus dieser Position der Stärke bereitete er eine anglo-burgundisch-französische Konferenz vor. Um seine Position im Vorfeld zu verbessern, wollte er Compiègne erobern und begann am 23. Mai 1430 die Belagerung der Stadt. Noch einmal versuchte Jeanne militärisch einzugreifen und Compiègne zu befreien, geriet dabei aber in Gefangenschaft. Sofort machte Bedford dem Herzog von Burgund ein Angebot zur Auslieferung, und nach längeren Verhandlungen verkaufte Philipp der Gute die Jungfrau am 21. November für 10.000 Écu an die Engländer. Ob Karl VII. einen Versuch zur Auslösung gemacht hat, ist ungewiß, doch er wäre ohnehin sinnlos gewesen, weil der Hof Heinrichs VI. auf jeden Fall einen Prozeß führen wollte: Die französischen Siege seit Orléans mußten als Werk des Teufels erwiesen werden, damit Bedford und Philipp der Gute als Führer eines gerechten Krieges an Legitimität gewinnen, der König von Frankreich und seine Berater dagegen als Beschützer einer Hexe diffamiert werden konnten. Schon drei Tage nach Jeannes Gefangennahme beanspruchte die Universität Paris volle Kompetenz für ein solches Verfahren; zweifellos war sie das angesehenste Institut für die wissenschaftliche Entscheidung von Glaubensfragen, hatte sich aber auch seit Heinrich V. für die Sache der englischen Könige eingesetzt. Bedford fand Paris indessen zu unsicher und wählte Rouen als Ort des Verfahrens; dort lebte überdies der aus seiner Diözese Beauvais vertriebene Bischof Pierre Cauchon, in dessen Sprengel Jeanne d’Arc gefangengenommen worden war und der infolgedessen ihr kirchenrechtlich zuständiger Richter sein mußte. Cauchon hatte in Paris Theologie studiert, war 1403 Rektor der Universität gewesen und von 1414 bis 1418 Mitglied der burgundischen Delegation auf dem Konstanzer Konzil; das Bistum Beauvais hatte er 1420 aus der Hand Heinrichs V. empfangen. Insofern war seine Karriere geradlinig; erst im 19. Jahrhundert hat nationalistische Borniertheit ihn zum charakterlosen Kollaborateur gestempelt und ein Zerrbild geschaffen, das im Zusammenhang mit der 1920 erreichten Heiligsprechung der Jungfrau noch einmal in kräftigen Farben ausgemalt worden ist.
Am 9. Januar 1431 war Cauchon vom englischen Kronrat als vorsitzender Richter approbiert und konnte einen regulären Inquisitionsprozeß vorbereiten, der mit Jeannes Verurteilung Karl VII. als Häretiker erweisen sollte und insofern einem politischen Ziel diente. Die Angeklagte machte es dem Gericht nicht leicht, denn die erhaltenen Protokolle zeigen ihre offenen und mutigen Antworten. Das ist bemerkenswert angesichts einer häufig aggressiven Gerichtsversammlung von über hundert Personen, unter ihnen mindestens achtzig Graduierte der Universität Paris, aber nur acht Engländer, von denen wiederum nur zwei regelmäßig anwesend waren. Wichtigster Vorwurf war ihr Hochmut, die
superbia,
mit der sie eine direkte Beziehung zu Gott und seinen Heiligen behauptet und sehr viel Böses angerichtet hätte. Bis zum 26. März zogen sich die Befragungen der Angeklagten und die Zeugenverhöre hin, doch gelang es dem Gericht nicht, ein Schuldgeständnis zu erhalten. Am 14. Mai schließlich überreichte die Universität Paris ein Gutachten, wonach die Angeklagte durch ihre Aussagen überführt sei, und am 24. Mai wollte das Gericht sein Urteil verkünden. Nun unterbrach Jeanne plötzlich die Verlesung des Textes, bekannte sich schuldig und bereit zum
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