Der Hypnotiseur - Kepler, L: Hypnotiseur - Hypnotisören
Holzlamellen verschieben sich geschmeidig, als Erik die Rolltür nach unten lässt und seine Suche beginnt. Hier muss es irgendwo etwas geben, denkt er. Ich weiß genau, dass ich hier etwas über Eva Blau habe.
Wenn seine Patienten aus irgendeinem Grund anders agieren als erwartet, wenn sie aus dem Rahmen ihres Zustands heraustreten, verwahrt er das Material über sie in diesem Schrank, bis er gelernt hat, die Abweichungen in ihrem Verhalten zu verstehen.
Dabei kann es sich um eine Notiz handeln, eine Beobachtung oder einen vergessenen Gegenstand. Er räumt Papiere, Collegeblöcke, Zettel und Quittungen mit Notizen fort, stößt auf vergilbte Fotos in einer Plastikmappe, eine externe Festplatte und einige Tagebücher aus einer Zeit, in der er an völlige Offenheit zwischen Arzt und Patient glaubte, und ein Bild, das ein traumatisiertes Kind eines Nachts gezeichnet hatte. Mehrere Musik- und Videokassetten von den Vorlesungen im Institut. Ein Buch von Hermann Broch mit zahlreichen Unterstreichungen. Eriks Hände halten inne. Es kribbelt in den Fingerspitzen. Um eine VHS -Kassette ist mit einem braunen Gummring ein Blatt Papier geschlungen. Auf dem Rücken des Bands steht bloß: Erik Maria Bark, Aufnahme 14 . Er zieht das Blatt heraus, winkelt die Lampe an und erkennt seine Handschrift: Verwunschenes Schloss .
Ein eiskalter Schauer läuft ihm den Rücken und die Arme hinunter. Die Nackenhaare sträuben sich, und er hört plötzlich seine Armbanduhr ticken. Sein Herz rast, er muss sich setzen. Mit zittrigen Händen greift er nach dem Telefon, ruft den Hausmeister an und bittet darum, einen Videorekorder aufs Zimmer gebracht zu bekommen. Mit bleischweren Füßen geht er zum Fenster, hebt die Lamellen der Jalousie an und betrachtet die feuchte Schneedecke im Innenhof. Schwere Flocken schweben schräg und langsam durch die Luft, landen auf seiner Fensterscheibe, verlieren ihre Farbe und schmelzen. Er sagt sich, dass es wahrscheinlich nur Zufälle, seltsame Übereinstimmungen sind, begreift jedoch gleichzeitig, dass einige Puzzleteile vermutlich zusammenpassen werden.
Verwunschenes Schloss , diese beiden Wörter auf einem Blatt Papier haben genügend Kraft, um ihn in die Vergangenheit zu katapultieren. In die Zeit, in der er noch hypnotisierte. Er weiß, dass er widerwillig zu einem dunklen Fenster gehen muss, um zu sehen, was sich hinter den Spiegelungen und Reflexen verbirgt, die seither von der Zeit geschaffen worden sind.
Der Hausmeister klopft leise an. Erik öffnet ihm, bestätigt die Bestellung und rollt anschließend den Wagen mit dem Fernseher und dem seltsam altmodisch aussehenden Videorekorder herein.
Er legt die Kassette ein, löscht das Licht und setzt sich.
»Das hier hätte ich fast vergessen«, sagt er zu sich selbst und richtet die Fernbedienung auf den Apparat.
Das Bild flimmert, und es rauscht und knistert eine Weile, aber dann hört er seine Stimme. Er klingt erkältet, als er ohne einen Hauch von Enthusiasmus Ort, Datum und Uhrzeit herunterleiert und abschließend bemerkt:
»Wir haben eine kurze Pause gemacht, befinden uns aber noch in einem posthypnotischen Zustand.«
Mehr als zehn Jahre sind seither vergangen, denkt er und sieht, wie das Stativ der Kamera höher gestellt wird. Das Bild wackelt und kommt dann zur Ruhe. Das Objektiv ist auf einen Halbkreis von Stühlen gerichtet. Dann taucht er vor der Kamera auf und rückt die Stühle gerade. Es gibt eine Leichtigkeit in den Bewegungen seines zehn Jahre jüngeren Körpers, eine Beschwingtheit in den Schritten, die er nicht mehr besitzt, das weiß er. Auf dem Band sind seine Haare nicht grau, und von den tiefen Furchen in seiner Stirn und auf seinen Wangen ist auch nichts zu sehen.
Die Patienten kommen ins Bild, bewegen sich träge, setzen sich auf ihre Stühle. Einige unterhalten sich gedämpft. Jemand lacht. Ihre Gesichter sind schwer zu erkennen, die Bildqualität ist schlecht, sie sind körnig und unscharf.
Erik schluckt schwer und hört sich mit hallender Stimme erklären, dass es Zeit wird, mit der Sitzung fortzufahren. Einige plaudern, andere sitzen nur schweigend da. Ein Stuhl knarrt. Er sieht sich an der Wand stehen und etwas in einem Schreibblock notieren. Plötzlich klopft es an der Tür, und Eva Blau tritt ein. Sie ist gestresst. Erik macht rote Flecken auf Hals und Wangen aus, als er beobachtet, wie er ihr den Mantel abnimmt, ihn aufhängt, sie zur Gruppe führt, kurz vorstellt und willkommen heißt. Die anderen nicken gemessen,
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