Der Hypnotiseur - Kepler, L: Hypnotiseur - Hypnotisören
das unheimlich wichtig, ich hätte dann das Gefühl …«
Er verstummt, seine Kiefer schmerzen. Ohne es zu merken, hat er sie ganz fest aufeinandergepresst.
»Wir wissen doch beide«, fährt Erik fort, »dass hier nicht einfach ein Jugendlicher verschwunden ist. Jemand hat Simone und Benjamin ein Betäubungsmittel injiziert, das man in der Chirurgie verwendet. Ich weiß, dass die Suche nach Josef Ek für dich Priorität hat, und mir ist auch bewusst, dass Benjamin nicht mehr dein Fall ist, weil es keine Verbindung zu Josef gibt, aber vielleicht ist etwas viel Schlimmeres passiert …«
Er verstummt und ist zu aufgewühlt, um weitersprechen zu können.
»Ich habe dir doch von Benjamins Krankheit erzählt«, zwingt er sich zu sagen. »In zwei Tagen ist sein Blut nicht mehr durch das Faktorpräparat geschützt, das bei der Gerinnung hilft. Und in einer Woche werden seine Blutgefäße so strapaziert sein, dass er unter Umständen gelähmt wird. Es könnte sich ein Blutgerinnsel im Gehirn bilden oder zu einer Blutung in der Lunge kommen, wenn er hustet.«
»Wir müssen ihn finden«, sagt Joona.
»Kannst du mir helfen?«
Eriks flehentliche Bitte hängt schutzlos in der Luft, aber das spielt keine Rolle. Er fällt nur zu gerne auf die Knie und bittet Joona um seine Hilfe. Die Hand, die das Handy hält, ist vom Schweiß ganz nass und glatt.
»Ich kann nicht einfach hingehen und die Ermittlungen von der Stockholmer Polizei übernehmen«, erklärt Joona.
»Der zuständige Beamte heißt Fredrik Stensund, er macht einen sympathischen Endruck, aber er wird sein gemütliches Büro nicht verlassen.«
»Die wissen schon, was sie tun.«
»Lüg mich nicht an«, sagt Erik leise.
»Ich denke nicht, dass ich den Fall übernehmen kann«, sagt Joona mit Nachdruck. »Das lässt sich nicht ändern. Aber ich werde versuchen, dir zu helfen. Du musst dir in aller Ruhe überlegen, wer Benjamin entführt haben könnte. Es könnte jemand sein, dem du ins Auge gefallen bist, als du in den Schlagzeilen warst. Aber es könnte auch jemand sein, den du kennst. Wenn du keinen Tatverdächtigen hast, dann hast du auch keinen Fall, du stehst mit leeren Händen da. Du musst nachdenken, dein Leben durchforsten, immer und immer wieder, alle deine Bekannten, Simones und Benjamins Freundeskreis. Geh alle Nachbarn, Verwandten, Patienten, Konkurrenten, Freunde durch. Gibt es jemanden, der dir mal gedroht hat? Der Benjamin bedroht hat? Versuch dich zu erinnern. Die Tat kann spontan oder auch seit vielen Jahren geplant gewesen sein. Denk gut nach, Erik, und melde dich dann bei mir.«
Erik öffnet den Mund, um Joona noch einmal zu bitten, den Fall zu übernehmen, aber ehe er etwas sagen kann, klickt es an seinem Ohr. Er sitzt im Auto und starrt mit brennenden Augen auf das rauschende Band der Autobahn.
34.
Die Nacht zum fünfzehnten Dezember
In Eriks Übernachtungszimmer ist es kalt und dunkel. Erik streift seine Schuhe ab, und als er seinen Mantel aufhängt, steigt ihm aus dem Stoff der Geruch feuchter Pflanzen in die Nase. Fröstelnd setzt er auf seiner Kochplatte Wasser auf, macht sich eine Tasse Tee, nimmt zwei starke Beruhigungstabletten und setzt sich an den Schreibtisch. Außer der Arbeitslampe auf dem Tisch brennt kein Licht. Er blickt in die kompakte Dunkelheit des Fensters, in der er sich als vagen Schatten neben dem Spiegelbild des Lichtkegels sieht. Wer hasst mich, denkt er. Wer beneidet mich, wer will mich bestrafen, mir alles wegnehmen, mein Leben zerstören, wer will mich vernichten?
Erik steht vom Schreibtisch auf, macht das große Licht an, geht auf und ab, bleibt stehen, streckt sich nach dem Telefon und kippt dabei einen Plastikbecher mit Wasser auf dem Tisch um. Ohne seine Gedanken sammeln zu können, wählt er Simones Handynummer, hinterlässt eine kurze Nachricht auf ihrer Mailbox, dass er sich gerne noch einmal an Benjamins Computer setzen würde, und verstummt, ist unfähig, noch etwas anderes zu sagen.
»Entschuldige«, murmelt er und wirft das Handy auf den Tisch.
Der Aufzug rumort im Flur, er hört die Türen klingeln und aufgleiten, gefolgt vom Geräusch eines Menschen, der ein quietschendes Krankenhausbett an seiner Tür vorbeischiebt.
Die Tabletten wirken, und er spürt die Ruhe in sich aufsteigen wie heiße Milch, eine Erinnerung, eine Bewegung in seinem Inneren, ein Sog im Magen, der den ganzen Körper erfasst. Als fiele man aus großer Höhe, zunächst durch kühle und klare Luft und
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