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Der Hypnotiseur - Kepler, L: Hypnotiseur - Hypnotisören

Titel: Der Hypnotiseur - Kepler, L: Hypnotiseur - Hypnotisören Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Kepler
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daran, wie vertraut und dennoch schrecklich fern ihm diese Situation ist, sie stammt aus einem anderen Leben, in dem er sich noch nicht von der Hypnose distanziert hat. Er sieht sich einen Stuhl näher heranziehen, sich vor den Halbkreis setzen, zu ihnen sprechen und sie dazu bringen, die Augen zu schließen und sich zurückzulehnen. Nach einer Weile ermahnt er alle, auf ihren Stühlen gerade zu sitzen, die Augen aber weiter geschlossen zu halten. Er steht auf, spricht mit ihnen über die Entspannung, tritt hinter ihre Rücken, beobachtet bei jedem Einzelnen den Grad der Entspannung. Ihre Gesichter werden weicher und schlaffer, sie sind sich selbst immer weniger bewusst, Verstellung und Koketterie werden ihnen immer fremder.
    Erik sieht sich hinter Eva Blau stehen bleiben und eine Hand schwer auf ihre Schulter legen. Es kribbelt im Bauch, als er sich dabei beobachtet, wie er mit der Hypnose beginnt, sanft in eine Induktion mit verborgenen Kommandos überleitet und sich dabei seiner Geschicklichkeit, seiner speziellen Gabe vollkommen bewusst ist.
    »Du bist zehn, Eva«, sagt er. »Du bist zehn. Es ist ein schöner Tag. Du bist gut gelaunt. Warum bist du so gut gelaunt?«
    »Weil der Mann in den Wasserpfützen tanzt und plantscht«, sagt sie mit fast unmerklichen Gesichtsbewegungen.
    »Wer tanzt?«
    »Wer?«, wiederholt sie. »Gene Kelly, sagt Mama.«
    »Ich verstehe, du guckst Singin’ in the rain ?«
    »Mama guckt den Film.«
    »Du nicht?«
    »Doch, schon.«
    »Und du bist gut gelaunt?«
    Sie nickt langsam.
    »Was passiert dann?«
    Eva schließt den Mund, und ihr Kopf sinkt herab.
    »Eva?«
    »Mein Bauch ist dick«, sagt sie fast tonlos.
    »Dein Bauch?«
    »Ich sehe, dass er ganz dick ist«, sagt sie, und Tränen laufen ihre Wangen herab.
    »Das verwunschene Schloss«, flüstert Jussi, »das verwunschene Schloss.«
    »Eva, hör mir zu«, fährt Erik fort. »Du kannst zwar alle im Raum hören, lauschst aber nur meiner Stimme. Es ist dir egal, was die anderen sagen, nur meine Stimme ist für dich wichtig.«
    »Okay.«
    »Weißt du, warum dein Bauch dick ist?«, fragt Erik.
    Ihr Gesicht ist verschlossen, in einen Gedanken, eine Erinnerung vertieft.
    »Ich weiß es nicht.«
    »Doch, ich denke schon, dass du es weißt«, erwidert Erik leise. »Aber wir richten uns hier ganz nach dir, Eva. Du brauchst jetzt nicht mehr daran zu denken. Möchtest du wieder fernsehen? Ich begleite dich, alle, die hier sind, gehen mit dir, den ganzen Weg, ganz gleich, was passiert, das versprechen wir dir. Wir haben es versprochen, und du kannst dich darauf verlassen.«
    »Ich will in das verwunschene Schloss«, flüstert sie.
    Erik sitzt auf seiner Übernachtungspritsche und spürt, dass er kurz vor seinen eigenen Räumen steht, dem Vergessenen und Verdrängten näher rückt.
    Er reibt sich die Augen, betrachtet den flimmernden Bildschirm und murmelt:
    »Öffne die Tür.«
    Er hört sich Zahlen aussprechen, die Eva Blau noch tiefer in die Hypnose führen, er erklärt, dass sie schon bald tun wird, was er sagt, ohne vorher darüber nachzudenken, sie wird akzeptieren, dass seine Stimme ihr den richtigen Weg weist. Sie schüttelt schwach den Kopf, und er zählt weiter herunter, lässt die Ziffern schwer und einschläfernd fallen.
    Die Bildqualität verschlechtert sich rapide: Eva blickt mit körnigen Augen auf, befeuchtet ihre Lippen und flüstert:
    »Ich sehe sie einen Menschen mitnehmen, sie gehen hin und nehmen einen Menschen mit.«
    »Wer nimmt einen Menschen mit?«, fragt er.
    Sie atmet stoßweise.
    »Ein Mann mit einem Pferdeschwanz«, jammert sie. »Er hängt den kleinen …«
    Das Band knistert, und das Bild verschwindet.
    Erik spult vor, aber das Bild taucht nicht wieder auf, das halbe Band ist defekt, die Aufnahme gelöscht.
    Dann sitzt er vor dem schwarzen Bildschirm. Er sieht sich aus der dunklen Spiegelung herausschauen. Mustert gleichzeitig sein zehn Jahre älteres Gesicht und das Gesicht des Menschen, der er damals war. Er betrachtet die Videokassette, Band 14 , und den Gummiring und das Blatt mit der Beschriftung: Das verwunschene Schloss.

35.
     
    Dienstagmorgen, der fünfzehnte Dezember
     
     
     
     
     
    Noch ehe sich die Aufzugtüren schließen, hat Erik mehr als zehnmal auf den Knopf gedrückt. Es weiß, dass es dadurch nicht schneller geht, kann aber einfach nicht anders. Der Gedanke an Benjamins Worte aus der Dunkelheit des Autos vermischt sich mit seltsamen Erinnerungsfragmenten, die der Film aufgewirbelt hat.

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