Der Hypnotiseur - Kepler, L: Hypnotiseur - Hypnotisören
zurückbekommen.
Nach der Ankunft auf dem Stockholmer Flughafen hatten sie Joona Linnas Eskorte gesehen, in deren Nähe sich geduldig etwa zehn Journalisten mit Kameras und Mikrofonen bereithielten. Wortlos nahmen sie einen anderen Ausgang und stiegen in ein Taxi.
Jetzt stehen sie unschlüssig vor dem Hotel Birger Jarl in Stockholm und gehen schließlich die Tulegatan hinunter, biegen auf die Odengatan, bleiben an der Ecke zum Sveavägen stehen und schauen sich um. Benjamin trägt einen viel zu großen Trainingsanzug aus dem Fundus der Polizei, eine Zipfelmütze – samische Touristenvariante −, die Simone ihm am Flughafen gekauft hat, und enge Fausthandschuhe. Die Stadt ist menschenleer und verwaist. Alles scheint geschlossen zu sein.
Erik sieht auf die Uhr. Es ist vier Uhr nachmittags. Eine Frau eilt mit einer großen Tüte in der Hand die Odengatan hinauf.
»Es ist Heiligabend«, sagt Simone plötzlich. »Heute ist Heiligabend.«
Benjamin sieht sie erstaunt an.
»Das erklärt, warum einem alle ein frohes Fest wünschen«, meint Erik lächelnd.
»Was sollen wir tun?«, fragt Benjamin.
»Da drüben ist offen«, sagt Erik.
»Wir sollen Weihnachten bei McDonalds essen?«, fragt Simone.
Es fängt an, eisig kalt zu nieseln, und sie beeilen sich, das Restaurant zu erreichen. Es ist ein hässlicher Flachbau, der sich unter der Rotunde der Stadtbibliothek an die Erde presst. Eine etwa sechzigjährige Frau steht wartend hinter der Theke. Sie sind die einzigen Gäste.
»Ich hätte gerne ein Glas Wein«, sagt Simone. »Aber ich fürchte, das bekommt man hier nicht.«
»Einen Milchshake, bitte«, sagt Erik.
»Vanille, Erdbeere oder Schokolade«, erwidert die Frau übellaunig.
Simone ist kurz davor, einen Lachanfall zu bekommen, beherrscht sich aber und sagt bemüht ernst:
»Erdbeere, ich nehme natürlich Erdbeere.«
»Ich auch«, meldet Benjamin sich zu Wort.
Die Frau tippt mit unwirschen Bewegungen die Bestellung ein.
»Ist das alles?«, fragt sie.
»Nimm von allem etwas«, sagt Simone zu Erik. »Wir setzen uns schon mal.«
Sie und Benjamin gehen zu den leeren Tischen.
»Fenstertisch«, flüstert sie und lächelt Benjamin an.
Sie setzt sich neben ihren Sohn, rückt eng an ihn heran und spürt Tränen über ihre Wangen laufen. Sie blickt auf das wie immer deplatziert wirkende, leere Brunnenbecken hinaus, in dem ein einsamer Skateboarder mit scharrenden und klappernden Geräuschen seine Bahnen zieht. Auf einer Bank neben der Seilbahn am Rand des Spielplatzes hinter der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät sitzt eine einsame Frau. Neben ihr steht ein leerer Einkaufswagen. Der Reifen an der Seilbahn schaukelt
im Wind.
»Frierst du?«, fragt sie.
Benjamin antwortet nicht, sein Gesicht ruht auf ihrer Schulter, und er lässt es zu, dass sie ihn immer wieder auf den Kopf küsst.
Erik stellt leise ein Tablett auf den Tisch, geht ein zweites holen und beginnt, Kartons, Papierpakete und Pappbecher auf dem Tisch zu verteilen.
»Super«, sagt Benjamin und setzt sich auf.
Erik überreicht ihm ein Happy-Meal-Spielzeug.
»Frohes Fest«, sagt er.
»Danke, Papa«, sagt Benjamin grinsend und mustert die Plastikverpackung.
Simone betrachtet ihren Sohn. Er ist so furchtbar mager geworden. Aber da ist noch etwas anderes, denkt sie. Eine Bürde scheint noch auf ihm zu lasten, etwas zerrt an seinen Gedanken, setzt ihm zu und belastet ihn. Er ist nur halb anwesend. Es ist, als würde er nach innen schauen, denkt sie, als würde er auf ein Spiegelbild in einem dunklen Fenster starren.
Als sie sieht, wie Erik die Hand ausstreckt und seinem Sohn über die Wange streicht, muss sie wieder weinen. Sie wendet sich ab, flüstert Entschuldigung und sieht eine Plastiktüte aus einer Mülltonne hochfliegen und an der Fensterscheibe kleben.
»Sollen wir versuchen, etwas zu essen?«, fragt Erik.
Benjamin faltet das Papier um einen großen Burger auseinander, als Eriks Handy klingelt. Er sieht im Display, dass es Joona ist.
»Frohes Fest, Joona«, meldet er sich.
»Erik«, sagt Joona am anderen Ende. »Seid ihr in Stockholm?«
»Wir sind gerade beim Weihnachtsessen.«
»Erinnerst du dich, dass ich gesagt habe, wir werden deinen Sohn finden?«
»Ja, daran erinnere ich mich.«
»Du hattest manchmal deine Zweifel, als wir …«
»Ja«, sagt Erik.
»Aber ich wusste, dass alles gut ausgehen würde«, fährt Joona ernst fort.
»Das kann ich von mir nicht behaupten.«
»Ich weiß, das habe ich gemerkt«, erwidert
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