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Der Hypnotiseur - Kepler, L: Hypnotiseur - Hypnotisören

Titel: Der Hypnotiseur - Kepler, L: Hypnotiseur - Hypnotisören Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Kepler
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um nach Stellen zu suchen, an denen sich ein Zeuge hätte aufhalten können. Er versucht zu erkennen, wie weit er die Treppe hinuntersehen kann, und denkt, dass tatsächlich jemand fünf Stufen tiefer hätte stehen können, dicht ans Geländer gedrängt, um ihn zu beobachten. Er nimmt den Weg zu dem alten Aufzug mit seinen Gitterschiebetüren. Er hat sich vorbereitet, die Türen stehen schon offen. Als er sich ein wenig bückt, sieht er sein Gesicht in den glänzenden Beschlägen der Tür und anschließend die Wand dahinter. Joona schleift den liegenden Erik in den Aufzug. Im Ausschnitt des offenen Aufzugs sieht er die Tür rechts, den Briefeinwurf und das Namensschild aus Messing, in der anderen Richtung jedoch nur eine Wand. Die Lampe über dem Treppenabsatz wird verdeckt. Nachdem er weiter in den Aufzug hineingegangen ist, richtet Joona den Blick auf den großen Aufzugspiegel, bückt und streckt sich, kann aber nichts sehen. Das Fenster im Treppenhaus bleibt verborgen. Als er über seine Schulter blickt, entdeckt er nichts Neues. Plötzlich fällt ihm jedoch etwas Unerwartetes auf. In einem bestimmten Winkel kann er über den kleineren, schräg stehenden Spiegel den hell glänzenden Türspion der Wohnung sehen, die bislang immer verdeckt geblieben war. Er zieht die Aufzugtür zu und stellt fest, dass ihm der Spiegel zwischen den Gitterstäben hindurch weiterhin freie Sicht auf die Tür gewährt. Wenn jemand hinter der Tür steht und durch den Spion ins Treppenhaus schaut, denkt er, dann kann diese Person jetzt deutlich mein Gesicht erkennen. Wenn ich den Kopf aber nur fünf Zentimeter in irgendeine Richtung bewege, bin ich sofort außer Sichtweite.
    Als sie unten ankommen, steht Erik auf, und Joona sieht auf die Uhr.
    »Acht Minuten«, sagt er.
    Sie kehren in die Wohnung zurück. Simone steht im Flur, und es ist ihr anzusehen, dass sie geweint hat.
    »Er trug Putzhandschuhe«, sagt sie. »Gelbe Putzhandschuhe.«
    »Bist du sicher?«, fragt Erik.
    »Ja.«
    »Dann hat es wenig Sinn, nach Fingerabdrücken zu suchen«, meint Joona.
    »Was sollen wir tun?«, fragt sie.
    »Die Polizei hat die Nachbarn schon befragt«, meint Erik düster, während Simone Schmutz und Staub von seinem Rücken bürstet.
    Joona zieht ein Blatt heraus.
    »Stimmt, ich habe hier eine Liste der Leute, mit denen die Kollegen gesprochen haben. Sie haben sich auf diese Etage und die Wohnungen darunter konzentriert. Mit fünf Mietern haben sie allerdings noch nicht gesprochen und eine …«
    Er mustert den Zettel und sieht, dass die Wohnung mit der Tür, die er im Spiegel gesehen hat, durchgestrichen worden ist.
    »Eine Wohnung ist ganz gestrichen worden«, sagt Joona, »und zwar die auf der anderen Seite das Aufzugs.«
    »Die Mieter sind verreist«, erklärt Simone. »Sie sind sechs Wochen in Thailand.«
    Joona sieht sie ernst an.
    »Dann wollen wir mal die Runde machen«, sagt er kurz.
    Auf der Tür, von der aus man über die Spiegel vollen Einblick in den Aufzug hat, steht Rosenlund. Es ist die Wohnung, die von den Polizisten nicht beachtet wurde, weil sie verdeckt lag und leer stand.
    Joona bückt sich und lugt durch den Briefeinwurf. Er sieht weder Post noch Reklame auf der Türmatte. Plötzlich dringt aus der Wohnung ein leises Geräusch an sein Ohr. Eine Katze tapst aus einem angrenzenden Zimmer in den Flur. Die Katze bleibt abrupt stehen und betrachtet abwartend Joona, der den Deckel des Briefeinwurfs hochhält.
    »Kein Mensch lässt eine Katze sechs Wochen allein«, sagt Joona nachdenklich zu sich selbst.
    Die Katze lauscht mit wachsamer Körperhaltung.
    »Du siehst nicht ausgehungert aus«, sagt Joona zu dem Tier.
    Die Katze gähnt ausgiebig, springt auf einen Stuhl im Flur und rollt sich zu einem Knäuel zusammen.
    Zunächst will Joona mit dem Ehemann von Alice Franzén sprechen. Als die Polizei überall klingelte, war sie allein zu Hause. Das Ehepaar Franzén wohnt in der gleichen Etage wie Simone und Erik, gegenüber vom Aufzug. Joona klingelt und wartet. Ihm kommt in den Sinn, dass er als Kind mit einer Pappsparbüchse der Lutherhilfe durch die Häuser ging, um Spenden zu sammeln. Das Gefühl von Fremdheit, wenn man in die Wohnungen anderer Leute blickte, der abweisende Ausdruck in den Augen der Menschen, die einem aufmachten.
    Er klingelt noch einmal. Eine etwa dreißigjährige Frau öffnet die Tür. Sie sieht ihn mit einem abwartenden und reservierten Gesichtsausdruck an, der ihn an die Katze in der leeren Wohnung denken

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