Der Hypnotiseur - Kepler, L: Hypnotiseur - Hypnotisören
auf dem Metall Halt gefunden. Hier und da sah man kleinere Ansammlungen von Algen. Eine weiße Krabbe kroch über die platte Fläche. Die Gruppe stand in einem Halbkreis um mich herum. Evas Gesicht war blass und fragend. Graues Wasserlicht wogte, sich spiegelnd und fließend, auf ihren Wangen. Ihr Gesicht sah in dieser tiefen Entspannung nackt und beinahe nonnenhaft aus. An der Öffnung ihres schlaffen Munds bildete sich eine Speichelblase.
»Eva, ich möchte, dass du ruhig sprichst und bei dem verharrst, was du siehst.«
»Aha«, murmelte sie.
»Sagst du uns«, versuchte ich es, »wo du dich befindest?«
Auf einmal sah sie ganz merkwürdig aus. Als würde sie sich über etwas wundern.
»Ich bin weggegangen, ich gehe auf dem weichen Weg mit den Kiefernnadeln und langen Zapfen«, flüsterte sie. »Vielleicht gehe ich ja zum Kanuverein und gucke durch das Fenster auf der Rückseite hinein.«
»Tust du das jetzt?«
Eva nickte und blies die Backen auf wie ein schmollendes Kind.
»Und was siehst du?«
»Nichts«, sagte sie schnell und abweisend.
»Nichts?«
»Nur eine Kleinigkeit … die ich vor der Post mit Schulkreide auf die Straße schreibe.«
»Was schreibst du?«
»Nur etwas Unwichtiges.«
»Du siehst nichts durch das Fenster?«
»Nein … nur einen Jungen, ich schaue mir einen Jungen an«, lallte sie. »Total süß, total niedlich. Er liegt in einem schmalen Bett, einer Bettcouch. Ein Mann in einem weißen Frotteebademantel legt sich auf ihn. Das sieht gut aus. Es gefällt mir, die beiden zu sehen, ich mag Jungen, will mich um sie kümmern und ihnen Küsschen geben.«
Hinterher zuckte Evas Mund, und ihre Augen schossen zwischen allen in der Gruppe hin und her.
»Ich war nicht hypnotisiert«, sagte sie.
»Du warst entspannt, das reicht völlig«, erwiderte ich.
»Nein, das reicht überhaupt nicht, denn ich habe nicht darüber nachgedacht, was ich sage, ich habe nur irgendwelche Dinge erzählt, das hat nichts zu bedeuten, das waren nur Fantasien.«
»Diesen Kanuclub gibt es also nicht?«
»Nein«, antwortete sie kategorisch.
»Den weichen Weg?«
»Das habe ich alles nur erfunden«, sagte sie mit einem Schulterzucken.
Es war ihr deutlich anzumerken, wie peinlich es ihr war, dass man sie hypnotisiert und sie daraufhin etwas beschrieben hatte, was sie wirklich erlebt hatte. Eva Blau war ein Mensch, der sonst nie etwas über sich erzählte, was mit der Wirklichkeit zusammenhing.
Marek spuckte stumm in seinen Handteller, als er bemerkte, dass Pierre ihn ansah. Pierre lief daraufhin rot an und sah schnell weg.
»Ich habe Jungen noch nie schlecht behandelt«, fuhr Eva mit lauterer Stimme fort. »Ich bin lieb, ich bin ein netter Mensch, Kinder mögen mich. Ich würde gerne auf Kinder aufpassen. Lydia, ich bin gestern an deinem Haus gewesen, habe mich aber nicht getraut zu klingeln.«
»Mach das nicht nochmal«, sagte Lydia leise.
»Was?«
»Komm nicht zu meinem Haus«, sagte sie.
»Du kannst dich auf mich verlassen«, fuhr Eva fort. »Charlotte und ich sind schon beste Freundinnen. Sie kocht für mich, und ich pflücke Blumen, die sie auf den Tisch stellen kann.«
Es zuckte in Evas Lippen, als sie sich erneut Lydia zuwandte:
»Ich habe für Kasper, deinen Jungen, etwas zum Spielen gekauft, es ist nur eine Kleinigkeit, ein lustiger Ventilator, der aussieht wie ein Hubschrauber, mit dessen Propeller man sich Luft zufächeln kann.«
»Eva«, sagte Lydia drohend.
»Er ist völlig ungefährlich, man kann sich daran nicht wehtun, Ehrenwort.«
»Du kommst nicht zu mir nach Hause«, erklärte Lydia. »Hast du mich verstanden?«
»Heute nicht, das geht nicht, ich wollte zu Marek, ich glaube nämlich, dass er Gesellschaft braucht.«
»Eva, du hast gehört, was ich gesagt habe«, beharrte Lydia.
»Heute Abend komme ich ohnehin nicht dazu«, erwiderte Eva Blau lächelnd.
Lydias Gesicht wurde weiß und angespannt. Sie stand abrupt auf und verließ den Raum. Eva blieb sitzen und sah ihr nach.
Simone war noch nicht gekommen, als man mich zu dem Tisch führte, auf dem ein Zettel mit unserem Namen in einem Glas platziert war. Ich setzte mich und überlegte, ob ich vorab schon einmal einen Drink nehmen sollte. Es war zehn nach sieben. Ich hatte einen Tisch im Restaurant KB reserviert. Ich hatte Geburtstag und war gut gelaunt. Wir kamen in letzter Zeit nur noch selten dazu, zusammen auszugehen, weil sie mit ihrem Galerieprojekt und ich mit meiner Forschung beschäftigt war. Wenn
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