Der Hypnotiseur - Kepler, L: Hypnotiseur - Hypnotisören
du dich, was passiert ist, Papa?«
»Ich erinnere mich an alles.«
Er streicht sich mit einer Hand über die Augen, räuspert sich und streckt die Hände aus.
»Halt mich fest«, befiehlt er, und diesmal gelingt es ihm mit Simones Hilfe, sich aufzusetzen und die Beine über die Bettkante zu schwingen.
»Ich brauche meine Kleider.«
Simone eilt zum Schrank und holt sie, kniet vor ihm und zieht ihm Strümpfe an, als die Tür aufgeht und ein junger Arzt hereinkommt.
»Ich muss los«, sagt Kennet unwirsch zu dem Mann, der kaum eingetreten ist.
Simone richtet sich auf.
»Hallo«, sagt sie und gibt dem jungen Arzt die Hand. »Ich heiße Simone Bark.«
»Ola Tuvefjäll«, sagt der Mann und wirkt unsicher, als er sich Kennet zuwendet, der seine Hose zuknöpft.
»Hallo, mein Junge«, sagt Kennet und steckt sich das Hemd in die Hose. »Es tut mir leid, dass wir nicht bleiben können, aber es handelt sich um einen Notfall.«
»Ich kann Sie nicht zwingen, hierzubleiben«, erwidert der Arzt gefasst, »aber wenn man bedenkt, wie hart der Schlag gegen Ihren Kopf war, sollten Sie selbst vernünftig genug sein, sich zu schonen. Es mag sein, dass Sie sich im Moment gut fühlen, aber Sie müssen wissen, dass in einer Minute oder einer Stunde, vielleicht aber auch erst morgen Komplikationen auftreten können.«
Kennet geht zum Waschbecken und spritzt sich kaltes Wasser ins Gesicht.
»Tut mir leid«, sagt er und richtet sich auf. »Aber ich muss zum Meer fahren.«
Der Arzt schaut den beiden fragend hinterher, als sie den Flur hinabeilen. Simone versucht, von ihrem Besuch bei Aida zu erzählen. Als sie auf den Aufzug warten, sieht sie, dass Kennet sich an der Wand abstützen muss.
»Wo wollen wir hin?«, fragt Simone. Kennet protestiert ausnahmsweise nicht, als sie sich auf den Fahrersitz setzt, sondern nimmt bloß neben ihr Platz, schnallt sich an und kratzt sich unter seinem Verband an der Stirn.
»Du musst mir schon sagen, wo wir hinfahren«, drängt sie, als er nicht antwortet. »Wie kommt man dorthin?«
Er wirft ihr einen merkwürdigen Blick zu.
»Zum Meer, ich muss nachdenken.«
Er lehnt sich auf seinem Sitz zurück, schließt die Augen und schweigt eine Weile. Sie denkt bereits, dass sie einen Fehler gemacht hat und ihr Vater offenbar zu krank ist und ins Krankenhaus zurückmuss. Aber dann öffnet er die Augen und erklärt in knappen Worten:
»Du fährst auf die Sankt Eriksgatan, über die Brücke und dann rechts auf die Odengatan und geradeaus bis zum Ostbahnhof. Von dort aus folgst du dem Valhallavägen in östliche Richtung bis zum Filmhaus, wo du in den Lindarängsvägen biegst. Der führt direkt zum Hafen.«
»Wer braucht schon ein Navi?«, lächelt Simone, als sie sich in den dichten Verkehr einreiht.
»Ich frage mich …«, sagt Kennet nachdenklich, verstummt dann jedoch.
»Was?«
»Ich frage mich, ob die Eltern etwas davon mitbekommen haben.«
Simone wirft ihm einen flüchtigen Seitenblick zu, während der Wagen an der Gustav-Wasa-Kirche vorbeifährt. Für einen kurzen Moment sieht sie eine lange Reihe von Kindern in Umhängen. Sie tragen Kerzen in den Händen und gehen langsam in die Kirche.
Kennet räuspert sich:
»Ich frage mich, ob die Eltern mitbekommen haben, was ihre Kinder da treiben.«
»Erpressung, Misshandlungen, Gewalt und Drohungen«, sagt Simone müde. »Die lieben Kleinen.«
Sie denkt an die Situation vor ein paar Tagen, als sie zu dem Tattoo-Studio gefahren ist. An diese Kinder, die ein Mädchen über das Geländer hielten. Sie hatten überhaupt keine Angst, hatten ihr stattdessen gedroht. Sie denkt daran, dass Benjamin versucht hat, sie davon abzuhalten, zu dem Jungen in der U-Bahn-Station zu gehen. Inzwischen ist ihr klar, dass er einer aus der Gang mit den Pokemonnamen gewesen sein muss.
»Was stimmt mit den Menschen nur nicht?«, fragt sie rhetorisch.
»Das war kein Unfall, Sixan. Ich bin vor das Auto gestoßen worden«, erwidert Kennet mit schneidender Stimme. »Und ich habe gesehen, wer es getan hat.«
»Du bist auf die Straße gestoßen worden? Wer …«
»Es war einer von ihnen, es war ein Kind, ein Mädchen.«
Die flachen Dreiecke der elektrischen Kerzenständer in den schwarzen Fenstern des Filmhauses leuchten. Als Simone in den Lindarängsvägen biegt, bedeckt Schneematsch die Fahrbahn. Über dem Stadtteil Gärdet hängen große, schwere Wolken, und es sieht ganz so aus, als würde sich schon bald ein ordentlicher Tauwetterregen auf die Hundebesitzer und ihre
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