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Der Hypnotiseur - Kepler, L: Hypnotiseur - Hypnotisören

Titel: Der Hypnotiseur - Kepler, L: Hypnotiseur - Hypnotisören Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Kepler
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öffnet Nicke die Tür. Er sieht sie fragend an.
    »Hallo«, sagt sie.
    »Ich habe neue Karten bekommen«, erzählt er eifrig.
    »Toll«, erwidert sie.
    »Ein paar sind Luschenkarten, aber viele sind superstark.«
    »Ist deine Schwester zu Hause?«, fragt Simone und tätschelt Nickes Arm.
    »Aida! Aida!«
    Nicke läuft den dunklen Flur hinab und verschwindet irgendwo in der Wohnung.
    Simone bleibt stehen und wartet. Dann hört sie ein eigentümlich pumpendes Geräusch und leises Klirren und sieht im nächsten Moment eine hagere, gebeugte Frau auf sich zukommen, die ein Wägelchen hinter sich herzieht, auf das eine Sauerstoffflasche montiert ist. Von der Flasche aus führt ein Schlauch zu der Frau, an dessen Ende durchsichtige Plastikröhrchen sitzen, die Sauerstoff in ihre Nasenlöcher pumpen.
    Die Frau klopft sich mit einer schmalen Faust auf die Brust.
    »Em…physem«, keucht sie, woraufhin sich ihr faltiges Gesicht zu einem heiseren, krampfhaften Hustenanfall verzerrt.
    Als sie endlich verstummt, bittet sie Simone mit einer Geste einzutreten. Gemeinsam gehen sie durch den langen dunklen Flur und gelangen in ein Wohnzimmer, das mit schweren Möbeln vollgestellt ist. Auf dem Fußboden, zwischen einem Hi-Fi-Turm mit Glastür und dem flachen TV -Schrank, spielt Nicke mit seinen Pokemonkarten. Auf der braunen Couch, eingeklemmt zwischen zwei großen Zimmerpalmen, sitzt Aida.
    Simone erkennt sie kaum wieder. Sie ist ungeschminkt. Sie hat ein süßes und sehr junges Gesicht, und alles an ihr wirkt sehr zierlich. Ihre Haare sind zu einem strengen Pferdeschwanz gebunden.
    Als Simone den Raum betritt, streckt sie die Hand nach einer Zigarettenschachtel aus und zündet sich eine an.
    »Hallo«, sagt Simone. »Wie geht es dir?«
    Aida zuckt mit den Schultern. Offenbar hat sie geweint. Sie raucht einen Zug und hebt einen grünen Aschenbecher zur Glut, als hätte sie Angst, Asche auf die Möbel fallen zu lassen.
    »Setzen … Sie sich …«, keucht ihre Mutter an Simone gewandt, die sich daraufhin in einem der breiten Sessel niederlässt, die neben Couch, Tisch und Palmen gezwängt stehen.
    Aida ascht in den grünen Aschenbecher.
    »Ich komme gerade aus dem Krankenhaus«, sagt Simone. »Mein Vater ist angefahren worden. Er war auf dem Weg zum Meer, zu Wailord.«
    Nicke schießt sofort in die Höhe. Sein Gesicht ist feuerrot.
    »Wailord ist wütend, so wütend, so wütend.«
    Simone wendet sich Aida zu, die heftig schluckt und dann die Augen schließt.
    »Worum geht es hier eigentlich?«, fragt Simone. »Dieser Wailord? Was ist mit ihm?«
    Aida drückt ihre Zigarette aus und sagt mit brechender Stimme:
    »Sie sind verschwunden.«
    »Wer?«
    »Eine Gang, die gemein zu uns war. Zu Nicke und mir. Sie waren schlimm, sie wollten mich brandmarken, sie wollten …«
    Sie verstummt und sieht ihre Mutter an, die ein Schnauben herausbringt.
    »Sie wollten aus Mama … einen Scheiterhaufen machen«, sagt Aida langsam.
    »Drecks… schwänze …«, keucht die Mutter aus dem anderen Sessel.
    »Sie benutzen die Namen von Pokemonfiguren, sie heißen Tobutz, Magbrant oder Lucario. Manchmal wechseln sie die Namen, man begreift es nicht.«
    »Wie viele sind es?«
    »Ich weiß nicht, vielleicht nur fünf«, antwortet Aida. »Es sind Kinder, der Älteste ist so alt wie ich, der Kleinste ist bestimmt erst sechs. Aber sie haben beschlossen, dass alle, die hier wohnen, ihnen etwas geben müssen«, erklärt Aida und begegnet zum ersten Mal Simones Blick. Ihre Augen sind bernsteinbraun, schön, klar, aber voller Furcht. »Die kleinen Kinder mussten Süßigkeiten oder Stifte abgeben«, fährt sie mit ihrer dünnen Stimme fort. »Sie haben ihre Sparschweine geplündert, um nicht verprügelt zu werden. Andere haben ihnen ihre Sachen gegeben, Handys und Nintendospiele. Sie haben meine Jacke und Zigaretten bekommen. Nicke haben sie einfach so geschlagen, sie haben ihm alles abgenommen, sie waren so gemein zu ihm.«
    Ihre Stimme erstirbt,und Tränen treten in ihre Augen.
    »Haben sie Benjamin entführt?«, fragt Simone ohne Umschweife.
    Aidas Mama wedelt mit der Hand.
    »Dieser … Junge … ist … nicht … gut …«
    »Antworte mir, Aida«, sagt Simone heftig. »Du antwortest mir jetzt!«
    »Schreien Sie … meine Tochter … nicht an«, keucht Aidas Mutter.
    Simone schüttelt ihr zugewandt den Kopf und sagt noch einmal und noch schneidender:
    »Du erzählst mir jetzt, was du weißt, hörst du!«
    Aida schluckt

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