Der Hypnotiseur - Kepler, L: Hypnotiseur - Hypnotisören
in die Nachttischschublade.
Er will nicht an die Sehnsucht denken, die in ihm geweckt wurde, als er Josef Ek hypnotisierte und in das tiefe blaue Meer begleitete.
Erik legt sich hin, streckt die Hand nach dem Wasserglas auf dem Nachttisch aus, schläft aber ein, noch ehe er zum Trinken kommt.
Er wacht ruckartig auf, denkt im Halbschlaf an seinen Vater, wenn dieser in seinem präparierten Frack auf Kindergeburtstagen auftrat, während ihm der Schweiß die Wangen hinunterlief. Er machte Ballonfiguren und zog bunte Federblumen aus einem hohlen Spazierstock. Als er alt war und im Altersheim lebte, hatte er von Eriks Arbeit als Hypnosetherapeut gehört und wollte, dass sie gemeinsam eine neue Nummer auf die Beine stellten. Er selbst als Gentlemandieb und Erik als Varietéhypnotiseur, der die Leute dazu bringen würde, wie Elvis oder Zarah Leander zu singen.
Plötzlich ist Erik hellwach und sieht Benjamin vor sich, der auf dem Schulhof vor Klassenkameraden und Lehrern friert, die Fernsehkamera und den lächelnden Reporter.
Erik setzt sich auf, spürt das Sodbrennen, greift nach dem Telefon auf seinem Nachttisch und ruft Simone an.
»Galerie Simone Bark«, meldet sie sich.
»Hallo, ich bin’s«, sagt Erik.
»Warte mal eine Sekunde.«
Er hört sie über den Parkettboden gehen und die Tür zum Büro hinter sich zuziehen.
»Was geht hier vor?«, fragt sie. »Benjamin hat mich angerufen und …«
»Die Medienmeute stürzt sich auf die Sache und …«
»Was ich meine, ist Folgendes«, unterbricht sie ihn. »Was hast du getan?«
»Die behandelnde Ärztin hat mich gebeten, ihn zu hypnotisieren.«
»Aber ein Verbrechen unter Hypnose zu gestehen ist …«
»Hör zu«, unterbrach er sie. »Könntest du mir bitte zuhören?«
»Ja.«
»Es war kein Verhör«, begann Erik.
»Es spielt keine Rolle, wie man es nennt …«
Sie verstummt. Er hört ihre Atemzüge.
»Entschuldige«, sagt sie leise.
»Es war kein Verhör, die Polizei brauchte dringend eine Personenbeschreibung, irgendetwas, weil sie gedacht haben, das Leben einer jungen Frau könnte davon abhängen, und die Ärztin, die zu dem Zeitpunkt für den Patienten verantwortlich war, fand, dass die Risiken für seine Gesundheit überschaubar waren.«
»Aber …«
»Wir dachten, er wäre ein Opfer, und haben nur versucht, seine Schwester zu retten.«
Er schweigt und hört Simone atmen.
»Was hast du da nur angestellt?«, sagt sie dann mit Zärtlichkeit in der Stimme.
»Das wird schon wieder.«
»Wirklich?«
Erik geht in die Küche und nimmt eine Tablette gegen das Sodbrennen.
14.
Donnnerstagabend, der zehnte Dezember
Joona blickt den dunklen und leeren Korridor hinunter. Es ist Abend, kurz vor acht, er ist als Einziger aus der Abteilung noch da. In allen Fenstern leuchten Adventssterne, und die elektrischen Kerzenständer werfen einen sanften, runden Doppellichtkegel, wenn sie sich im schwarzen Glas spiegeln. Anja hat eine Schale Weihnachtsgebäck auf seinen Schreibtisch gestellt, und er isst viel zu viel davon, während er seine Kommentare zum Protokoll der Vernehmung Evelyns schreibt.
Nachdem Evelyns Lügen aufgeflogen waren, hatte der Staatsanwalt beschlossen, Untersuchungshaft anzuordnen. Er hatte sie davon unterrichtet, dass sie der Beteiligung an Mord in mehreren Fällen dringend tatverdächtig sei und das Recht habe, sich einen Rechtsbeistand zu suchen. Den Ermittlern blieb nun eine dreitägige Frist, bis endgültig über die Untersuchungshaft entschieden werden musste. Entweder würden dann so triftige Gründe für den Verdacht vorliegen, dass das Gericht ihre Schuld zumindest als wahrscheinlich erachten würde, oder man musste sie auf freien Fuß setzen.
Joona ist bewusst, dass Evelyns Lüge noch lange nicht ihre Schuld beweist, aber sie verschafft ihm drei Tage, um herauszufinden, was Evelyn verbirgt und warum.
Er druckt das Protokoll aus, legt es in den Postausgang für die Staatsanwaltschaft, fährt anschließend mit dem Aufzug nach unten, verlässt das Polizeipräsidium und setzt sich in seinen Wagen.
Am Fridhemsplan hört Joona sein Handy klingeln, bekommt es aber irgendwie nicht aus dem Mantel. Es ist durch ein Loch in der Manteltasche im Futter gelandet. Die Ampel springt auf Grün um, und die Autos hinter ihm hupen schon. Er fährt auf die Bushaltestelle vor dem Restaurant der Hare-Krishna-Bewegung, schüttelt das Telefon heraus und ruft zurück.
»Hier spricht Joona Linna – du hast mich
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