Der Idiot
hat, daß
Weiber dabei zusehen.«
»Die haben dabei auch nichts zu suchen.«
»Gewiß, gewiß! Solche Qualen mit anzusehen ...! Der Verurteilte war
ein gebildeter, unerschrockener, kräftiger Mann, schon bei Jahren.
Legros war sein Name. Nun, sehen Sie, ich sage Ihnen, ob Sie es nun
glauben oder nicht: als er auf das Schafott heraufkam, da weinte er und
sah weiß aus wie ein Blatt Papier. Ist das möglich? Ist das nicht
entsetzlich? Wer weint denn vor Angst? Ich hatte nicht gedacht, daß
jemand, der kein Kind ist, vor Angst weinen könnte, ein Mann, der nie
geweint hat, ein Mann von fünfundvierzig Jahren. Was mag mit der Seele
in diesem Augenblick vorgehen? In was für krampfhafte Zuckungen wird
sie versetzt? Es ist eine Peinigung der Seele, weiter nichts! Es gibt
ein Gebot: ›Du sollst nicht töten!‹, und da tötet man nun dafür, daß
jemand getötet hat, auch ihn? Nein, das darf nicht sein! Es ist jetzt
schon einen Monat her, daß ich das gesehen habe; aber es ist mir bis
heute noch, als ob ich es vor Augen hätte. Ich habe wohl fünfmal davon
geträumt.«
Der Fürst war beim Sprechen ordentlich eifrig geworden, und eine
leichte Röte war auf seinem blassen Gesicht hervorgetreten, obgleich er
äußerlich so still und ruhig redete wie vorher. Der Kammerdiener hörte
ihm mit teilnahmsvollem Interesse zu und wünschte, wie es schien, nicht
mehr, sich von dem Gespräch loszumachen; vielleicht war auch er ein
Mensch mit Einbildungskraft und einem Hang zum Nachdenken.
»Es ist wenigstens noch gut, daß nicht viel Quälerei dabei ist, wenn der Kopf abfliegt«, bemerkte er.
»Wissen Sie was?« erwiderte der Fürst lebhaft. »Da sagen Sie das
nun, und alle Leute sagen das ebenso wie Sie, und die Maschine, die
Guillotine, ist ja auch zu diesem Zweck erfunden. Aber mir ging gleich
damals ein gewisser Gedanke durch den Kopf: wie, wenn das sogar noch
schlimmer wäre? Das scheint Ihnen lächerlich und seltsam; aber wenn man
etwas Einbildungskraft besitzt, so kann einem wohl auch ein solcher
Gedanke in den Kopf kommen. Überlegen Sie nur: nehmen wir zum Beispiel
die Folter; dabei finden Schmerzen und Verwundungen, das heißt
körperliche Qualen, statt, und daher lenkt dies alles den Gefolterten
von dem seelischen Leiden ab, so daß er nur von den Wunden Qualen
empfindet bis zu dem Augenblick, wo er stirbt. Aber der ärgste,
stärkste Schmerz wird vielleicht nicht durch Verwundungen
hervorgerufen, sondern dadurch, daß man mit Sicherheit weiß: nach einer
Stunde, dann: nach zehn Minuten, dann: nach einer halben Minute, dann:
jetzt in diesem Augenblick wird die Seele aus dem Körper hinausfliegen,
und man wird aufhören, ein Mensch zu sein, und daß das sicher ist; die
Hauptsache ist, daß das sicher ist. Wenn man so den Kopf gerade unter das Messer
legt und hört, wie es über dem Kopf herabgleitet, dann muß diese
Viertelsekunde das Allerschrecklichste sein. Wissen Sie wohl, daß das
nicht eine Phantasie von mir ist, sondern daß das schon viele gesagt
haben? Ich glaube das so bestimmt, daß ich Ihnen gegenüber diese meine
Ansicht offen ausspreche. Wenn man jemanden, der getötet hat, dafür
tötet, so ist die Strafe unverhältnismäßig viel größer als das
Verbrechen. Die Tötung auf Grund eines Urteilsspruches ist
unverhältnismäßig viel schrecklicher als die von einem Räuber
begangene. Derjenige, welchen Räuber töten, wird bei Nacht gemordet, im
Wald, oder sonst auf irgendeine Weise; in jedem Fall hofft er noch bis
zum letzten Augenblick auf Rettung. Es hat Beispiele gegeben, daß einem
schon die Kehle durchgeschnitten war und er doch noch hoffte, und
entweder davonzulaufen suchte oder um sein Leben bat. Aber hier ist
einem diese ganze letzte Hoffnung, mit der das Sterben zehnmal so
leicht ist, mit Sicherheit genommen. Hier ist ein Urteilsspruch, und
die ganze schreckliche Qual besteht in dem Bewußtsein, daß man mit
Sicherheit dem Tod nicht entgehen kann, und eine schlimmere Qual als
diese gibt es auf der Welt nicht. Man führe einen Soldaten in der
Schlacht einer Kanone gerade gegenüber und stelle ihn dorthin und
schieße auf ihn; er wird noch immer hoffen; aber man lese diesem selben
Soldaten das Urteil vor, das ihn mit Sicherheit dem Tode weiht, und er wird den Verstand
verlieren oder zu weinen anfangen. Wer kann denn glauben, daß die
menschliche Natur imstande sei, dies zu ertragen, ohne in Irrsinn zu
geraten? Wozu eine solche gräßliche, unnütze, zwecklose Marter?
Vielleicht gibt es auch einen
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