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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Michailowitsch Dostojewski
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mit seiner Mutter und seinem Bruder das ganze zweite
Stockwerk dieses düsteren Hauses bewohnte. Der Diener, der dem Fürsten
öffnete, führte ihn ohne Anmeldung hinein; die Führung dauerte lange:
sie passierten einen für Festlichkeiten bestimmten Saal mit marmorartig
bemalten Wänden, eichenem Parkettfußboden und schweren, plumpen Möbeln
aus den zwanziger Jahren; sie gingen auch durch einige kleine
Zimmerchen, wobei sie Bogen und Zickzacke machten, ein paar Stufen
hinauf- und dann wieder ebensoviele hinunterstiegen, und klopften
endlich an einer Tür an. Parfen Semjonowitsch öffnete selbst; als er
den Fürsten erblickte, wurde er so blaß und blieb so starr auf dem
Fleck stehen, daß er mit seinem unbeweglichen, erschrockenen Blick und
dem zu einem verständnislosen Lächeln schiefgezogenen Mund eine
Zeitlang einem steinernen Götzenbild glich; er schien in dem Besuch des
Fürsten etwas Unglaubliches, ja beinah Wunderbares zu finden. Der Fürst
hatte zwar etwas Derartiges erwartet, war aber doch erstaunt.
    »Vielleicht komme ich nicht gelegen, Parfen; ich kann ja wieder gehen«, sagte er schließlich verlegen.
    »Nicht doch, du kommst durchaus gelegen!« erwiderte Parfen, der endlich seine Fassung wiedergewann. »Bitte, tritt näher!«
    Sie duzten sich. Es hatte sich in Moskau so getroffen, daß sie
häufig und lange zusammen waren, und es hatte bei diesem Zusammensein
auch Augenblicke gegeben, die auf das Herz des einen wie des andern
einen tiefen Eindruck gemacht hatten. Jetzt hatten sie einander mehr
als drei Monate lang nicht gesehen.
    Die Blässe und ein leises, huschendes Zucken waren noch immer nicht
von Rogoschins Gesicht gewichen. Er hatte zwar seinen Gast eingeladen
näherzutreten; aber seine außerordentliche Befangenheit dauerte fort.
Während er den Fürsten zu einem Lehnsessel führte und am Tisch Platz
nehmen ließ, wandte sich dieser zufällig zu ihm hin und blieb
überrascht von seinem seltsam starren Blick stehen. Dieser Blick schien
den Fürsten zu durchbohren und erinnerte ihn zugleich an etwas
Peinliches, Düsteres, das er vor wenigen Stunden gesehen hatte. Er
setzte sich nicht hin, sondern blieb, ohne sich zu rühren, stehen und
blickte Rogoschin eine Weile gerade in die Augen: diese Augen schienen
im ersten Moment noch stärker aufzuflammen. Endlich lächelte Rogoschin,
aber etwas verlegen und verwirrt.
    »Warum siehst du mich denn so unverwandt an?« murmelte er. »Setz dich doch!«
    Der Fürst setzte sich.
    »Parfen«, sagte er, »sag mir aufrichtig: wußtest du, daß ich heute nach Petersburg kommen würde?«
    »Daß du herkommen würdest, habe ich mir gedacht«, versetzte
Rogoschin. »Und wie du siehst, habe ich mich nicht geirrt«, fügte er
boshaft lächelnd hinzu. »Aber woher hätte ich wissen sollen, daß du
gerade heute kommen würdest?«
    Die schroffe Heftigkeit und der seltsam gereizte Ton der an die Antwort angeschlossenen Frage befremdeten den Fürsten noch mehr.
    »Aber selbst wenn du wußtest, daß ich gerade heute kommen würde, so
brauchst du doch nicht so gereizt zu sein«, sagte der Fürst leise,
nicht ohne Verlegenheit.
    »Warum fragtest du denn, ob ich es gewußt habe?«
    »Als ich vorhin aus dem Waggon stieg, sah ich zwei ganz ebensolche
Augen auf mich gerichtet wie die, mit denen du mich soeben von hinten
ansahst.«
    »Na so was! Wessen Augen waren denn das?« murmelte Rogoschin argwöhnisch.
    Es schien dem Fürsten, als sei er zusammengezuckt.
    »Ich weiß es nicht; es war einer aus der dichten Menge; ich halte
sogar für möglich, daß es mir nur so vorgekommen ist; dergleichen
Täuschungen begegnen mir in letzter Zeit häufiger. Ich habe beinah
dieselbe Empfindung, Bruder Parfen, wie vor fünf Jahren, als ich meine
Anfälle bekam.«
    »Na also, vielleicht ist es dir nur so vorgekommen; ich weiß es nicht ...«, murmelte Parfen.
    Das freundliche Lächeln auf seinem Gesicht stand ihm in diesem
Augenblick sehr schlecht; dieses Lächeln hatte sozusagen einen Sprung
bekommen, und Parfen war trotz aller Bemühungen nicht imstande, es
wieder zusammenzukleben.
    »Nun, willst du wieder ins Ausland gehen, ja?« fragte er und fügte
plötzlich hinzu: »Erinnerst du dich noch, wie wir im Herbst auf der
Bahn zusammen von Pskow hierher fuhren ..., du im Mantel, weißt du
noch, und in Gamaschen?«
    Rogoschin lachte plötzlich laut auf, dieses Mal mit unverhohlener
Feindseligkeit, und wie wenn er sich freute, daß es ihm gelungen war,
diese Gesinnung wenigstens auf irgendeine

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