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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Michailowitsch Dostojewski
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dafür
dreihundertfünfzig Rubel bot, und Iwan Dmitrijewitsch Saweljew, ein
Kaufmann, der ein großer Liebhaber solcher Dinge ist, der ist bis auf
vierhundert hinaufgegangen und hat in der vorigen Woche meinem Bruder
Semjon Semjonowitsch schon fünfhundert geboten. Aber ich habe es für
mich behalten.«
    »Das ist ja ... das ist ja eine Kopie nach Hans Holbein«, sagte der
Fürst, der nun Zeit gehabt hatte, das Bild genauer zu betrachten; »und
wiewohl ich kein großer Kenner bin, so scheint es mir doch eine
vorzügliche Kopie zu sein. Ich habe dieses Bild im Ausland gesehen und
kann es nicht vergessen. Aber ... was hast du denn ...?«
    Rogoschin kümmerte sich auf einmal nicht weiter um das Bild, sondern
ging auf dem bisherigen Weg wieder voran. Allerdings ließ sich dieses
sprunghafte Wesen durch seine Zerstreutheit und durch die besondere,
seltsam reizbare Stimmung, die bei ihm so plötzlich hervorgetreten war,
vielleicht erklären; aber trotzdem erschien es dem Fürsten wunderlich,
daß Rogoschin ein von ihm selbst begonnenes Gespräch so plötzlich
abbrach und ihm nicht einmal antwortete.
    »Hör mal, Ljow Nikolajewitsch«, fing Rogoschin wieder an, nachdem er
einige Schritte gemacht hatte, »ich wollte dich schon längst fragen:
glaubst du an Gott oder nicht?«
    »Wie sonderbar du fragst, und ... was du für ein sonderbares Gesicht machst!« äußerte der Fürst unwillkürlich.
    »Dieses Bild betrachte ich immer gern«, murmelte Rogoschin nach
kurzem Stillschweigen, als ob er seine Frage wieder vergessen hätte.
    »Dieses Bild betrachtest du gern?« rief der Fürst, von einem
plötzlichen Gedanken überrascht. »Dieses Bild? Aber beim Anblick dieses
Bildes kann ja mancher Mensch seinen Glauben verlieren!«
    »Ich verliere ihn auch«, war Rogoschins überraschende, bestätigende Antwort.
    Sie waren bereits zur Entreetür gelangt.
    »Wie?« sagte der Fürst, stehenbleibend. »Was redest du da? Ich habe
eigentlich nur im Scherz gesprochen, und du sagst das so ernst! Und
warum hast du mich gefragt, ob ich an Gott glaube?«
    »Einen besonderen Grund hatte ich nicht dazu. Ich wollte dich schon
früher danach fragen. Heutzutage glauben ja viele nicht an ihn. Ob das
wohl wahr ist (du hast ja im Ausland gelebt), mir hat einmal so ein
Trunkenbold gesagt, bei uns in Rußland gebe es mehr Leute, die nicht an
Gott glauben, als in allen andern Ländern? ›Uns‹, sagte er, ›wird es
leichter, zum Unglauben zu gelangen, als ihnen, weil wir weiter
fortgeschritten sind.‹«
    Rogoschin lächelte spöttisch; als er seine Frage ausgesprochen
hatte, öffnete er die Tür und wartete mit der Klinke in der Hand
darauf, daß der Fürst hinausgehe.
    Der Fürst wunderte sich, ging aber hinaus. Der andere trat nach ihm
auf den Treppenflur hinaus und machte die Tür hinter sich zu. Sie
standen einander mit solchen Gesichtern gegenüber, daß es schien, als
hätten sie beide vergessen, wohin sie gekommen seien, und was sie nun
zu tun hätten.
    »Lebe wohl!« sagte der Fürst und reichte Rogoschin die Hand.
    »Lebe wohl!« erwiderte dieser und drückte fest, aber ganz mechanisch die ihm hingestreckte Hand.
    Der Fürst stieg eine Stufe hinab und wendete sich dann wieder um.
    »Was aber den Glauben betrifft«, begann er lächelnd (er wollte
offenbar Rogoschin nicht verlassen, ohne ihm geantwortet zu haben; auch
belebte ihn eine plötzlich auftauchende Erinnerung), »was den Glauben
betrifft, so hatte ich in der vorigen Woche an zwei Tagen vier
verschiedene Erlebnisse. An einem Vormittag fuhr ich auf einer neuen
Eisenbahnstrecke und unterhielt mich im Waggon vier Stunden lang mit
einem gewissen S., den ich auf der Fahrt kennengelernt hatte. Ich hatte
schon früher viel von ihm gehört, unter anderm auch, daß er Atheist
sei. Er ist tatsächlich ein sehr gelehrter Mann, und ich freute mich,
daß ich mit einem wirklichen Gelehrten reden durfte. Außerdem ist er
ein außerordentlich wohlerzogener Mensch und redete infolgedessen mit
mir, ganz wie wenn ich ihm an Kenntnissen und Begriffsvermögen
gleichkäme. An Gott glaubte er nicht. Nur eines fiel mir auf: daß er
über diesen Punkt die ganze Zeit über gar nicht sprach, und das fiel
mir gerade deswegen auf, weil es mir auch früher, sooft ich mit
Ungläubigen zusammengekommen war, und sooft ich derartige Bücher
gelesen hatte, immer so vorgekommen war, als ob sie über diesen Punkt
überhaupt weder redeten noch in ihren Büchern schrieben, obgleich es
auf den ersten Blick scheinen konnte, daß

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