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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Michailowitsch Dostojewski
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... wie kannst du nur ...«, rief der Fürst, ohne den Satz zu beenden.
    Er blickte Rogoschin erschrocken an.
    »Warum sprichst du nicht zu Ende?« fragte dieser lächelnd. »Aber
wenn du willst, so werde ich dir sagen, was du in diesem Augenblick im
stillen denkst: ›Wie kann sie unter solchen Umständen seine Frau
werden? Wie kann man das zulassen?‹ Ich weiß, daß du das denkst ...«
    »Ich bin nicht deswegen hergereist, Parfen; ich sage dir, so etwas ist mir nicht in den Sinn gekommen ...«
    »Es ist ja möglich, daß du nicht deswegen hergereist bist, und daß
dir so etwas nicht in den Sinn gekommen war; aber nun wird sich der
Zweck nachträglich hinzufinden, hehe! Nun genug! Warum bist du so
bestürzt? Solltest du wirklich nichts davon gewußt haben? Du setzt mich
in Erstaunen!«
    »Das ist bei dir nur Eifersucht, Parfen; das ist eine Krankheit; du
übertreibst das alles maßlos ...«, murmelte der Fürst in größter
Aufregung. »Was hast du denn?«
    »Laß das liegen!« sagte Parfen und riß dem Fürsten hastig ein Messer
aus der Hand, das dieser vom Tisch genommen hatte, wo es neben dem Buch
gelegen hatte, und tat es wieder auf seinen früheren Platz.
    »Es ist mir, als hätte ich es bei der Einfahrt in Petersburg gewußt,
als hätte ich eine Vorahnung davon gehabt ...«, fuhr der Fürst fort.
»Ich wollte nicht herfahren! Ich wollte diese ganze Sache vergessen und
mir aus dem Herzen reißen! Nun, lebe wohl ... Aber was hast du denn?«
    Während des Sprechens hatte der Fürst in der Zerstreutheit dasselbe
Messer wieder vom Tisch in die Hand genommen, und nun nahm Rogoschin es
ihm zum zweitenmal aus der Hand und warf es auf den Tisch. Es war ein
Messer von ganz einfacher Gestalt, mit einem Griff aus Hirschhorn,
nicht zum Zusammenklappen, mit einer etwa dreizehn Zentimeter langen
und entsprechend breiten Klinge. Als Rogoschin sah, daß der Fürst
stutzig darüber wurde, daß ihm dieses Messer zweimal aus der Hand
gerissen war, ergriff er es grimmig und ärgerlich, legte es in das Buch
und schleuderte das Buch auf einen andern Tisch. »Du schneidest damit
wohl die Seiten auf?« fragte der Fürst, aber zerstreut, als sei er
immer noch in seine Gedanken versunken.
    »Ja, freilich.«
    »Es ist ja ein Gartenmesser!«
    »Ja. Kann man denn die Seiten nicht auch mit einem Gartenmesser aufschneiden?«
    »Aber es ... es ist ganz neu.«
    »Na, was ist denn dabei, daß es neu ist? Darf ich mir etwa nicht ein
neues Messer kaufen, sobald ich will?« schrie Rogoschin endlich in
einer Art von Raserei; seine Gereiztheit war mit jedem Wort ärger
geworden.
    Der Fürst zuckte zusammen und blickte ihn aufmerksam an.
    »Aber wir sind auch die Richtigen!« sagte er lachend; er war nun
wieder völlig zur Besinnung gekommen. »Sei mir nicht böse, Bruder; wenn
mir der Kopf so schwer ist wie jetzt, und dazu noch diese Krankheit ...
ich werde dann ganz zerstreut und komisch. Ich wollte überhaupt nicht
danach fragen ... ich weiß schon nicht mehr, um was es sich handelte.
Leb wohl!«
    »Nicht dort!« sagte Rogoschin.
    »Ich habe vergessen, durch welche Tür ich hereingekommen bin!«
    »Hier, hier, komm, ich werde dir den Weg zeigen.«
Fußnoten
    1 Ein Verschnittener, Mitglied einer geheimen religiösen Sekte. (A.d.Ü.)

IV
    Sie gingen durch dieselben Zimmer, die der Fürst schon vorher
passiert hatte. Rogoschin ging ein wenig voraus, der Fürst hinter ihm
her. Sie kamen in den großen Salon. Hier befanden sich an den Wänden
einige Gemälde, lauter Bischofsporträts und Landschaften, von denen
nichts zu erkennen war. Über der Tür zum nächsten Zimmer hing ein Bild
von recht auffälligem Format: über anderthalb Meter lang und nicht viel
mehr als ein Viertelmeter hoch. Es stellte den soeben vom Kreuz
abgenommenen Heiland dar. Der Fürst blickte es flüchtig an, wie wenn
ihm eine Erinnerung käme, wollte aber, ohne stehenzubleiben, durch die
Tür hindurchgehen. Er fühlte sich sehr bedrückt, und es verlangte ihn,
möglichst schnell aus diesem Haus herauszukommen. Aber Rogoschin blieb
plötzlich vor dem Bild stehen.
    »All diese Bilder hier«, sagte er, »hat mein verstorbener Vater auf
Auktionen gekauft, das Stück zu einem oder zwei Rubel; er liebte so
etwas. Ein Sachverständiger hat sie alle hier besichtigt; er sagte, es
sei Schund; aber dieses hier, das Bild über der Tür, das ebenfalls für
zwei Rubel gekauft ist, von dem sagte er, es sei kein Schund. Noch bei
Lebzeiten meines Vaters fand sich jemand, der ihm

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