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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Michailowitsch Dostojewski
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»Sonst hockt er
hier tagelang bei uns und ist nicht loszuwerden, und jetzt hat er uns
nicht einmal eine Mitteilung zugehen lassen, wenn er schon selbst nicht
herkommen mochte.« Kolja wollte eigentlich sofort wegen des Ausdrucks
»nicht loszuwerden« aufbegehren, verschob dies aber doch auf ein
anderes Mal, und wenn der Ausdruck nicht gar zu beleidigend gewesen
wäre, so hätte er ihn vielleicht ganz entschuldigt, soviel Vergnügen
machte ihm Lisaweta Prokofjewnas Aufregung und Unruhe bei der Nachricht
von der Krankheit des Fürsten. Sie behauptete eine ganze Weile, sie
müßten unverzüglich einen expressen Boten nach Petersburg schicken, um
eine ärztliche Zelebrität ersten Ranges aufzusuchen und mit dem ersten
Zug herbeizuschaffen. Aber die Töchter redeten ihr das aus; indes
wollten sie hinter ihrer Mama nicht zurückbleiben, als diese sich
sofort anschickte, den Kranken zu besuchen.
    »Er liegt auf dem Sterbebett«, sagte sie, sich eilig zurechtmachend;
»wie werden wir uns da um Vorschriften der Etikette kümmern! Ist er ein
Freund unseres Hauses oder nicht?«
    »Andererseits ist es auch nicht passend, sich jemandem so ohne
weiteres aufzudrängen«, wollte Aglaja einwenden. »Na, dann komm nicht
mit! Das wird sogar ganz gut sein; sonst ist niemand hier, um Jewgeni
Pawlowitsch zu empfangen, wenn er kommen sollte.«
    Infolge dieser Bemerkung schloß sich Aglaja natürlich sofort den
andern an, was sie übrigens ohnehin beabsichtigt hatte. Fürst Schtsch.,
der mit Adelaida im Gespräch begriffen war, erklärte sich auf deren
Bitte unverzüglich bereit, die Damen zu begleiten. Er hatte schon
früher, zu Anfang seiner Bekanntschaft mit Jepantschins, ein großes
Interesse bekundet, als er von ihnen etwas über den Fürsten gehört
hatte. Es hatte sich herausgestellt, daß er mit diesem bereits bekannt
war, und zwar hatten sie einander vor nicht allzu langer Zeit irgendwo
kennengelernt und dann ungefähr vierzehn Tage lang zusammen in
irgendeinem kleinen Städtchen gelebt. Das war vor drei Monaten gewesen.
Fürst Schtsch. hatte ihnen sogar viel von dem Fürsten erzählt und sich
überhaupt sehr sympathisch über ihn ausgesprochen, so daß er jetzt mit
aufrichtigem Vergnügen hinging, um einen alten Bekannten zu besuchen.
Der General Iwan Fjodorowitsch war augenblicklich nicht zu Hause.
Jewgeni Pawlowitsch war ebenfalls noch nicht gekommen.
    Von dem Jepantschinschen Landhaus bis zu dem Lebedjewschen waren nur
dreihundert Schritte. Der erste unangenehme Eindruck, den Lisaweta
Prokofjewna beim Fürsten empfing, wurde dadurch hervor gerufen, daß sie
eine ganze Gesellschaft um ihn versammelt fand, ganz zu schweigen von
dem Umstand, daß ihr in dieser Gesellschaft zwei oder drei Personen
entschieden zuwider waren; und zweitens war sie unangenehm erstaunt,
als ihnen, statt eines Verscheidenden auf dem Sterbebett, den sie zu
finden erwartet hatte, ein anscheinend völlig gesunder, elegant
gekleideter junger Mann mit lächelnder Miene entgegentrat. Sie blieb
ganz verwundert stehen, zum größten Vergnügen Koljas, der ihr
natürlich, noch ehe sie von ihrem Landhaus aufbrach, sehr wohl hätte
mitteilen können, daß niemand im Verscheiden liege und von einem
Sterbebett nicht die Rede sei, dies aber absichtlich unterlassen hatte
in schlauer Voraussicht des komischen Zornes der Generalin, die nach
seiner psychologischen Spekulation sich jedenfalls darüber ärgern
würde, wenn sie den Fürsten, dem sie herzlich zugetan war, gesund
anträfe. Kolja war sogar so taktlos, seine Vermutung laut
auszusprechen, um Lisaweta Prokofjewna noch mehr zu reizen, mit der er
sich trotz der zwischen ihnen bestehenden Freundschaft beständig und
manchmal in recht scharfer Form neckte.
    »Warte nur, lieber Freund, krähe nicht zu früh!« antwortete Lisaweta
Prokofjewna und setzte sich auf den Lehnstuhl, den ihr der Fürst
zurechtrückte.
    Lebedjew, Ptizyn und General Iwolgin beeilten sich, den jungen Damen
Stühle zu bringen. Aglaja wurde vom General zum Sitzen eingeladen.
Lebedjew stellte auch dem Fürsten Schtsch. einen Stuhl hin, wobei er es
fertigbrachte, durch die Krümmung seines Rückens eine außerordentliche
Ehrerbietung auszudrücken. Warja begrüßte die jungen Damen mit dem
gewöhnlichen Entzücken im Flüsterton.
    »Ich hatte allerdings geglaubt, dich im Bett zu finden, Fürst; so
schwarzseherisch hatte mich die Angst gemacht; und ich leugne
keineswegs, daß ich mich soeben furchtbar über dein glückliches Gesicht
ärgerte; aber

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