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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Michailowitsch Dostojewski
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allergeringsten Zweifel«, versetzte Lebedjew mit lebhaften Gestikulationen.
    Der Fürst betrachtete ihn aufmerksam vom Kopf bis zu den Füßen.
    »Wie ist das, Lukjan Timofejewitsch? Haben Sie Ihr Schränkchen, das
in Ihrer Wohnung über dem Kopfende Ihres Bettes an der Wand befestigt
war, hierher mitgebracht?«
    »Nein, das habe ich nicht getan.«
    »Haben Sie es wirklich dort gelassen?«
    »Es war nicht möglich, es mitzunehmen; ich hätte es aus der Wand herausbrechen müssen; es sitzt ganz fest darin.«
    »Aber vielleicht haben Sie hier ein ebensolches?«
    »Sogar ein besseres, sogar ein besseres; ich habe es mit dem Landhaus mitgekauft.«
    »Ach so! Wem haben Sie denn vorhin den Zutritt zu mir verwehrt? So etwa vor einer Stunde?«
    »Das ... das war der General. Ich habe ihn allerdings nicht
hereingelassen, und er paßt auch wirklich nicht für Sie. Ich schätze
diesen Mann sehr hoch, Fürst; er ... er ist ein bedeutender Mensch;
glauben Sie es etwa nicht? Na, sehen Sie, aber trotzdem ... trotzdem
wäre es das beste, durchlauchtigster Fürst, wenn Sie ihn nicht
empfangen wollten.«
    »Aber warum denn nicht? möchte ich doch fragen. Und warum stehen Sie
denn jetzt auf den Zehen, Lebedjew, und kommen immer zu mir, als ob Sie
mir ein Geheimnis ins Ohr sagen wollten?«
    »Ich bin ein gemeiner Mensch, ein gemeiner Mensch, das fühle ich«,
antwortete Lebedjew ziemlich unmotiviert und schlug sich affektvoll auf
die Brust. »Aber wird der General für Sie nicht gar zu gastfreundlich
sein?«
    »Was heißt das: gar zu gastfreundlich?«
    »Er ist sehr für Gastfreundschaft. Erstens richtet er sich bei mir
schon ganz häuslich ein; nun, das mag noch hingehen; aber er ist
unternehmend und dringt sogleich in die Verwandtschaft ein. Er und ich,
wir haben schon mehrmals unsere Familienverhältnisse untersucht, und es
hat sich dabei herausgestellt, daß wir miteinander verwandt sind. Und
noch gestern hat er mir auseinandergesetzt, es lasse sich auch
beweisen, daß Sie mütterlicherseits ein entfernter Neffe von ihm seien.
Wenn also Sie sein Neffe sind, dann sind auch wir beide, Sie und ich,
miteinander verwandt, durchlauchtigster Fürst. Das ist ja nun noch
nichts Schlimmes, eine kleine Schwäche; aber soeben hat er mir
versichert, daß er sein ganzes Leben lang, von der Zeit an, wo er noch
Fähnrich war, bis zum elften Juni vorigen Jahres, täglich nicht weniger
als zweihundert Personen an seinem Tisch sitzen gehabt habe. Es sei
schließlich so weit gekommen, daß sie gar nicht mehr aufgestanden
seien, sondern täglich fünfzehn Stunden lang zu Mittag und zu Abend
gespeist und Tee getrunken hätten, und das alles dreißig Jahre lang
ohne die geringste Unterbrechung; es sei kaum Zeit gewesen, das
Tischtuch zu wechseln. Der eine sei aufgestanden und weggegangen und
ein anderer gekommen; und an den patriotischen Festtagen sei die Zahl
seiner Gäste auf dreihundert gestiegen. Und bei der tausendjährigen
Jubiläumsfeier Rußlands seien es siebenhundert gewesen. Das ist ja
schrecklich; solche Erzählungen sind ein sehr übles Symptom; so
gastfreundliche Herren auch nur zu empfangen, ist bedenklich, und da
habe ich mir gedacht, ob er nicht für Sie und für mich doch gar zu
gastfreundlich ist.«
    »Aber Sie stehen, wie es scheint, mit ihm auf sehr gutem Fuß?«
    »Wir verkehren miteinander wie Brüder, und ich fasse das, was er so
sagt, als Scherz auf. Mögen wir auch miteinander verwandt sein; was
schadet es mir? Das kann mir nur eine Ehre sein. Ich halte ihn für
einen höchst interessanten Menschen, trotz der zweihundert Tischgäste
und der noch größeren Zahl bei der Tausendjahrfeier Rußlands. Ich rede
zu Ihnen ganz aufrichtig. Sie sprachen soeben von Geheimnissen, Fürst,
und sagten, ich träte immer zu Ihnen heran, wie wenn ich Ihnen ein
Geheimnis mitteilen wollte; nun, es trifft sich gerade, daß wirklich
ein Geheimnis vorliegt: eine gewisse Person hat mir soeben mitgeteilt,
daß sie sehr wünsche, mit Ihnen eine geheime Zusammenkunft zu haben.«
    »Warum denn eine geheime? Der Heimlichkeit bedarf es nicht. Ich werde selbst zu ihr hingehen, womöglich gleich heute.«
    »Gewiß, der Heimlichkeit bedarf es nicht«, versetzte Lebedjew
gestikulierend. »Auch fürchtet sie gar nicht das, was Sie vermuten.
Apropos, der Unmensch kommt jeden Tag her, um sich nach Ihrem Befinden
zu erkundigen; ist Ihnen das bekannt?«
    »Sie nennen ihn so oft einen Unmenschen; das ist mir sehr verdächtig.«
    »Sie brauchen gar keinen Verdacht zu

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